Direkte Demokratie vor Gericht: Wieviel darf das Volk entscheiden?

Dürfen die Berliner bei Volksentscheiden auch über hohe Millionensummen abstimmen? Darüber verhandelt heute der Verfassungsgerichtshof. Konkret geht es um Begehren der Kita-Initiative und des Wassertisches.

Es geht auch um die Zukunft dieser ganz jungen Demokraten Bild: dpa

Worüber rund 2,5 Millionen Berliner abstimmen dürfen, sollen jetzt neun Richter klären: Am heutigen Dienstag befasst sich der Berliner Verfassungsgerichtshof mit zwei im Jahr 2008 vom Senat als "verfassungswidrig" abgelehnte Volksbegehren. Sowohl der "Berliner Wassertisch" als auch der Initiative "Landeselternausschuss Kita" hatten dagegen Einspruch eingelegt. Das Gericht muss nun Grundsätzliches entscheiden: Über wieviel Geld dürfen die Berliner in Volksentscheiden selbst bestimmen? Und dürfen die Begehren die Offenlegung vertraulicher Dokumente fordern? Ob dazu heute ein Urteil fällt, ist offen.

Das Volksbegehren der Kita-Initiative, für das 66.181 Berliner unterschrieben hatten, war im vergangenen August vom Senat abgelehnt worden. Der Landeselternausschuss hatte darin einen höheren Erzieher-Kind-Schlüssel und eine bessere frühkindliche Bildung gefordert. Nach Berechnung der Initiatoren hätte dies 96 Millionen Euro gekostet, circa 0,5 Prozent des Berliner Haushalts. Der Senat hatte für eine mögliche Umsetzung dagegen 166 Millionen Euro veranschlagt. Dies verletze das Budgetrecht des Parlaments und sei somit verfassungswidrig.

Burkhard Entrup vom Landeselternausschuss hält dies für unbegründet. "Das Parlament hätte auch nach unserem Begehren noch die Möglichkeit, einen eigenen Gesetzentwurf zu verfassen." Zudem seien die Zahlen des Senats "absurd". Er gehe deshalb optimistisch in die Verhandlung, so Entrup. Das Anliegen des Begehrens würde "bis zum Ende durchgezogen". Auch die jüngst vom Senat beschlossenen Kita-Freijahre würden daran nichts ändern. "Die Eltern wollen lieber höhere Qualität in den Kitas."

Der zweite Fall, das Begehren des "Berliner Wassertisches", forderte die Offenlegung sämtlicher Verträge zum Teilverkauf der Berliner Wasserbetriebe. Sie waren 1999 zu 49,9 Prozent an RWE und Veolia veräußert worden. Diese Offenlegung sei nötig, um Tarifkalkulationen der inzwischen deutlich gestiegenen Wasserpreise sowie zugesicherte Renditen an die Unternehmen nachzuvollziehen. Langfristig forderte die Initiative die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe. 36.062 Berliner hatten dafür unterschrieben. Der Senat wies das Begehren ab, da die Offenlegung eine "Verletzung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Vertragspartner RWE und Veolia" bedeuten würde.

Die Mitiniatorin des Begehrens und Grünen-Abgeordnete Heidi Kosche erwartet eine "höchst spannende juristische Auseinandersetzung". Bei Verkäufen kommunaler Konzerne müsse eine Veröffentlichung der Verträge Pflicht sein, so Kosche.

Für den Gerichtshof steht vor allem die Kita-Initiative im Fokus. Das Gericht muss über eine Gesetzesänderung von 2006 entscheiden: Bis dahin waren jegliche Volksbegehren unzulässig, die Auswirkungen auf den Landeshaushalt hatten. Nun gilt dies nur noch für diejenigen Initiativen, die eine Änderung des Landeshaushaltsgesetzes vorsehen. Die Berliner dürfen also über Finanzpolitisches mitbestimmen - offen ist nur, über welche Summen.

Michael Efler vom Verein Mehr Demokratie hofft auf ein Grundsatzurteil: "Die Bevölkerung sollte über alles mitentscheiden können, was auch das Parlament beschließen kann." Je größer die verhandelten Haushaltsposten, desto wichtiger sei doch die Bürgerbeteiligung. Zudem behalte das Parlament die Gesamtverantwortung. "Ein positives Urteil wäre ein Durchbruch für die direkte Demokratie und hätte enorme Signalwirkung für die anderen Bundesländer", so Efler. Konrad Litschko

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