Montags-Interview mit Philippa Ebéné: "Wir brauchen für Vielfalt eine Quote"

Philippa Ebéné, Leiterin der Werkstatt der Kulturen, will einen Veranstaltungsort , der das kulturelle Schaffen von BerlinerInnen jeder Herkunft abbildet. Denn die Struktur der Stadt und ihrer Bewohner spiegele sich in der Kulturlandschaft bisher kaum wider.

Philippa Ebéné, Leiterin der Werkstatt der Kulturen. Bild: Bernd Hartung

taz: Frau Ebéné, Sie haben Ihren früheren Beruf als Schauspielerin aufgegeben, weil Ihnen die Rollen nicht gefielen, die Ihnen angeboten wurden. Hat sich da etwas geändert?

Philippa Ebéné: Früher bekam eine afrodeutsche Schauspielerin kaum andere Rollen als die der Nutte oder Asylbewerberin. Das ist heute nicht mehr so. Aber immer noch fehlt mir im Fernsehen der schwarze Familienvater, Anwalt, Arzt - realistische Bilder. Stattdessen sieht man nichtweiße Schauspieler nach wie vor eher in Rollen, die sie als besonders nichtweiß auszeichnen sollen. Das gilt im Übrigen auch für Leute, die türkisch aussehen. Aber im Grunde hat mich genau diese Kritik ja auch zur Kultur zurückgebracht.

Wie kam das?

1999 spielte ich nach langer Pause in der letzten Produktion der alten Schaubühne und bekam dadurch wieder Lust, in diesem Umfeld zu arbeiten. Mit befreundeten Schauspiel-Coaches und Schauspielern gründete ich daher das Forum für Filmschauspiel, eine Weiterbildungseinrichtung für Berufsschauspieler. Bei einem Workshop arbeitete ein nigerianischer Schauspieler an einem Stück von Wole Soyinka. Und wir stellten fest, dass keiner der anwesenden Schauspieler je von Soyinka, immerhin der erste afrikanische Literaturnobelpreisträger, gehört hatte.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Damals habe ich das Ensemble Abok gegründet, das afrikanische und afroeuropäische Bühnenautoren in szenischen Lesungen auf die Bühne bringt. Die Schauspielerinnen und Schauspieler von Abok sind alle in irgendeiner Weise afrikanischer Herkunft. In Zusammenhang mit dieser Arbeit wurde ich dann oft zu Themen wie Sichtbarkeit von Minderheiten in der deutschen Theaterszene und der deutschen Kulturlandschaft im Allgemeinen befragt. Meine Standardantwort war, dass ich bei der Arbeit mit dem Ensemble so viele Besucherinnen und Besucher aus den diversen schwarzen Communities in einem deutschen Theatersaal erlebte wie niemals zuvor. Die gehen sonst nämlich kaum ins Theater.

Warum nicht?

Weil sie sich nicht angesprochen fühlen, weil sie einfach nicht vorkommen oder nur so vorkommen, wie es ihnen nicht gefällt.

Warum war es denn für Sie so selbstverständlich, zu wissen, wer Wole Soyinka ist? Afrikanische Kultur gehört hier ja nicht zum üblichen Lehrstoff.

Ich bin in Kamerun und in Deutschland aufgewachsen und im klassischen Sinne bikulturell erzogen worden. Also mehrsprachig und mit Bezügen zu unterschiedlichen Kulturen. Auch deshalb freue ich mich darüber, dass ich jetzt hier in der Werkstatt der Kulturen bin. Hier werden die Themen behandelt werden, mit denen ich qua Biografie zu tun habe: Migration, postmigrantische und hybride Kunst- und Aktionsformen, Transkulturalität im weitesten Sinne.

Könnten Sie diese Begriffe bitte erklären?

Der Begriff der Multikulturalität geht davon aus, dass es in sich abgeschlossene Kulturen gibt, die innerhalb eines nationalen Territoriums nebeneinander bestehen. Transkulturalität dagegen geht davon aus, dass eine Kultur heute keine klaren Konturen hat. Sondern dass Fusionen, pluralistische Identitäten in einer Stadt wie Berlin Alltag sind.

Und das wollen Sie in der Werkstatt der Kulturen abbilden?

Ja. Das ist das, was mich an dem Job hier gereizt hat - die Gelegenheit, Kunst, Politik und Alltagskultur zu verbinden. Wenn man das Bedürfnis hat, Kultur zu politisieren oder Politik kulturell aufzuarbeiten, braucht man dafür Räume. Um sichtbar zu sein. Und damit Perspektiven zur Geltung kommen können, die innerhalb der Berliner Kulturlandschaft bisher kaum zur Geltung kamen.

Transkulturelle Perspektiven?

Berlins Bevölkerung besteht zu 25 Prozent aus Menschen mit transnationalem Hintergrund. In der Kulturlandschaft spiegelt sich das aber überhaupt nicht. In den Theatern oder den Konzerthäusern, sowohl auf wie hinter der Bühne und auch im Publikum sehen wir diese 25 Prozent nicht.

Der Intendant aus New York, die Komponistin aus Korea?

Natürlich bewegt sich die sogenannte Hochkultur auf internationalem Parkett. Natürlich hat man da Engagements in Berlin, Paris, London, New York. Davon reden wir hier aber nicht. Wir reden davon, dass die Berliner Kulturlandschaft nicht die Bedürfnisse aller Berliner befriedigt, dass sie Strukturen, die wir hier in Berlin nun einmal haben, nicht widerspiegelt.

Ist die Neuköllner Werkstatt der Kulturen der richtige Ort für solche Ansprüche? Sie hat ja ein bisschen den Ruf, ein Ort für Folkloreveranstaltungen zu sein.

Die Werkstatt wurde vor 15 Jahren als "Begegnungsstätte für Deutsche und Ausländer" gegründet. Ein Ort, an dem Migrantenvereine - damals hießen sie noch "Ausländervereine" - für wenig Geld Räumlichkeiten mieten konnten, um Jubiläen, Heimatabende oder sonstige Kulturfeste feiern zu können und dabei professionelle Unterstützung erhielten. Diese Möglichkeit bieten wir weiter an. Daneben gibt es aber zwei weitere Segmente: Zum einen unsere Kooperationsveranstaltungen, die in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Organisationen entstehen. Zum anderen natürlich unsere Eigenproduktionen.

Wie der Karneval der Kulturen.

Der ist sicher das bekannteste Produkt aus unserem Hause und lockt bis zu 1,5 Millionen Besucher aus der ganze Republik an. Daneben haben wir den bundesweiten Weltmusikwettbewerb Creole ins Leben gerufen, der dieses Jahr in die zweite Runde geht. Und wir haben diesen Sommer das erste Nelson-Mandela-Festival lanciert. Wir streben in allen drei Segmenten Veränderungen an, vor allem aber sollen unsere eigenen Produktionen mehr Raum bekommen.

Was sind Ihre Pläne?

Ich will ein Stammpublikum an unser Haus binden, indem wir Gastkuratoren aus den unterschiedlichsten Milieus der Stadt gewinnen, die über längere Zeit hinweg an bestimmten Themen arbeiten. Wir haben bereits damit begonnen: Donnerstags ist bei uns immer Filmnacht - Eintritt ist übrigens frei. Sie wird von verschiedenen Kuratoren betreut: Sangeetha Sanders stellt die Bollywood-Nächte vor, die Nollywood-Filmnacht wird kuratiert von Enoka Ayemba, einem Medienberater aus Kamerun. Dann haben wir einen Schwerpunkt namens Made in Germany, vorgestellt von der Berliner Videokünstlerin Masayo Kajimura. Sie präsentiert Arbeiten von Regisseuren mit transkulturellen Biografien, also afrodeutschen, asiendeutschen, türkischdeutschen. Es sind immer Vortragende, Regisseure, Schauspielerinnen oder Kameraleute, die beim Film mitgewirkt haben, bei den Vorführungen anwesend.

Und abgesehen von Film?

An jedem Freitagabend läuft unser Worldmusic-Jam Transmusikale - vielleicht sogar der einzige Weltmusik-Jam in der Stadt. Ich kenne jedenfalls keinen anderen. Da kommen Musikerinnen und Musiker zusammen, um eine Fusion aus Popularmusik, Jazz und traditioneller Musik zu präsentieren. Dabei geht es uns um die Frage: Was passiert in Berlin, einer Stadt, in der sich irrsinnig viele MusikerInnen verorten, die aber eben nicht alle dieselbe musikalische Sprache sprechen. Wir arbeiten zusammen mit Gilbert Abdourahmane Diop, einem Perkussionisten und Sänger und in Berlin sehr etablierten alten Musiker, und vom Jahreswechsel an auch mit dem Gitarristen und Produzenten Jean Paul Bourelly.

Hat die Werkstatt genug Geld für ein solches Programm?

Die Werkstatt der Kulturen wird vom Senatsbeauftragten für Integration finanziert. Der Etat deckt Betriebs- und Personalkosten. Die Programmmittel akquirieren wir selbst.

Will der Integrationsbeauftragte denn ein Kulturprogramm? Geht es dem nicht mehr um Integrationspolitik?

Das eine schließt das andere nicht aus. Ein Hauptaugenmerk werden wir künftig darauf legen, die Arbeit der unterschiedlichen Migrantenvereine, die die Werkstatt nutzen, zu professionalisieren. Wir planen ab nächstem Jahr Workshops, die den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Vereinen Kenntnisse in Sachen Veranstaltungsplanung und -umsetzung vermitteln. Wir wollen ja weiter eng mit den Vereinen zusammenarbeiten und sind daran interessiert, dass die Veranstaltungen professionell gefahren werden.

Ist das Interesse an interkulturellem Austausch heute größer denn je?

Es stimmt, dass derzeit Diskussionen geführt werden, die man vor 30 Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Damals konnte man sich kaum vorstellen, dass je über Partizipation von Minderheiten geredet werden würde. Solange aber von den insgesamt 350 Millionen Euro, die Berlin für Kultur ausgibt, lediglich 350.000 auf sogenannte interkulturelle Projekte entfallen und damit das Thema denn auch in Gänze abgehandelt werden soll, so lange kann das nichts werden. Das sind 0,001 Prozent des Gesamtetats. Wir bewegen uns also im Promillebereich. Und das ist einfach nicht genug. Tatsächlich wird heute aber sehr konkret darüber diskutiert, wie interkulturelle Öffnung in Kultureinrichtungen stattfinden kann.

Ist die Werkstatt der Kulturen da Vorbild?

Nicht wirklich. In der Verwaltung arbeitet eine Kollegin aus dem Iran, ein Haustechniker kommt aus Polen, einer aus dem Kongo und im Karnevalsbüro ist in diesem Monat eine neue Kollegin aus Georgien hinzugekommen. Alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind weiße Deutsche.

Wollen Sie das ändern?

Ja, indem wir das Team vergrößern. Die Werkstatt soll künftig verstärkt als kulturelles Kompetenzzentrum in Sachen Transkulturalität, Migration und postmigrantische Entwicklungen wahrgenommen werden. Dafür braucht es natürlich Repräsentantinnen und Repräsentanten, die über ihre Biografie, ihre Arbeits- und Forschungsfelder und ihre Sprachkenntnisse die nötigen Kompetenzen mitbringen, die eine solche Re-Positionierung möglich machen. Aber wir sollten nicht die Einzigen sein, die sich um die Sichtbarkeit von Kulturproduktionen bemühen, die den Milieus kultureller Minderheiten entstammen. Meines Erachtens sind hier alle Kulturinstitutionen gefordert. Ich habe kürzlich den Entwurf einer "Charta der Vielfalt der Kulturinstitutionen" in den Rat für die Künste eingebracht. Dabei handelt es sich um ein Selbstverpflichtungspapier, das jetzt in einer Arbeitsgruppe des Rates weiterentwickelt wird und dann hoffentlich bald von mehreren Kulturinstitutionen unterschrieben werden kann.

Was muss von Seiten der Politik geschehen?

Erstens muss es viel mehr Geld geben. Zweitens müssen Einstellungskorridore geschaffen werden. Und drittens braucht es eine Quote. Anders geht es nicht. Wer weiß, ob wir, wenn es nie eine "Bei-gleicher-Eignung-Frauen-Quote" gegeben hätte, heute eine Angela Merkel als Bundeskanzlerin hätten?

Finden Sie das gut?

Ich finde gut, dass sie die Chance dazu hatte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.