Ein Straßenfeger im Winter: "Wir haben die Straße zügig wieder im Griff"
Bor Mlaik arbeitet als Straßenreinigungsmeister bei der Berliner Stadtreinigung. Die Kälte ist für ihn eine Herausforderung. Verschneite Kreuzungen schippt er mit der Hand. Doch die eigentliche Arbeit beginnt erst mit dem Tauwetter. Dann kommen Müll und Dreck unter dem Schnee zum Vorschein
taz: Herr Mlacik, Sie sind Straßenreinigungsmeister. Haben Sie sich eigentlich gefreut, als es zu Neujahr geschneit hat?
Bor Mlacik: Ja, es ist halt mal was anderes. Aber wenn die Kälte sich dann lange hinzieht und man jeden Tag Einsatz fährt, da werden die Knochen müde.
So anstrengend?
Der Winterdienst ist sehr anstrengend, weil die Kälte einem zu schaffen macht. Wir haben zwar eine gute Ausrüstung, aber es gibt wirklich viel zu tun: Wir räumen zuerst - mit den Fahrzeugen oder mit der Schneeschippe - und dann muss gestreut werden. Wenn es dann noch mal geschneit hat, dann muss man wieder rausfahren. Es kann also passieren, dass man zwei, drei "Rutschen" pro Schicht macht.
Wie ist die derzeitige Stimmung unter den Kollegen?
Als es zum ersten Mal geschneit hat, waren alle hellauf begeistert, aber mittlerweile sind viele müder geworden. Trotzdem sind sie motiviert.
Sie arbeiten in der Einsatzleitung für Tiergarten und Wedding. Wenn es nochmal schneien sollte, was müssten Sie als Erstes tun?
Die erste Aufgabe ist natürlich, alles zu kontrollieren: ob die Technik stimmt, ob das Personal zur Verfügung steht. Notfalls muss ich bei Krankheits- oder Technikausfall schnelle Maßnahmen ergreifen, um die Touren zu besetzen.
Und dann wird geräumt?
Wir fahren hier elf Touren. Man muss unterscheiden, es gibt die Winterdienstmaßnahmen auf der Fahrbahn und Handstreupläne - so heißt das bei uns. Nach den Handstreuplänen räumen wir die Kreuzungen und Straßenübergänge frei.
Wie bitte, per Hand mit der Schneeschippe?
Genau. Auf ungefähr 18.000 Kreuzungen und Überwegen in der Stadt.
Und dann die Gehwege …
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass die Berliner Stadtreinigung (BSR) für Straßen und Gehwege im Winterdienst zuständig ist. Sommerreinigung ja, aber um die Schnee- und Glättebekämpfung auf den Gehwegen muss sich der Grundstückseigentümer kümmern.
Was ist mit den Fahrradwegen? Da wird wohl gar nicht geschippt?
Die Fahrradwege gehören zwar auch zu den Aufgaben der BSR, aber wir haben Subunternehmer, die für uns tätig sind.
Und die tun nichts?
Wir kontrollieren, ob die Wege geräumt worden sind. Sollte das nicht der Fall sein, geht gleich ein Fax raus mit der Forderung nach sofortigen Maßnahmen. Nach zwei, drei Stunden gucken wir nochmal, ob das erledigt ist. Wenn nicht, gibt es Abmahnungen, Vertragsstrafen bis hin zur Kündigung des Vertrages bei andauernder Schlechtleistung.
Sie machen also Druck. Trotzdem sind die Fahrradwege zurzeit halsbrecherisch …
Die BSR-Sprecherin Sabine Thümler, die dem Gespräch beiwohnt, erklärt:
Also, ich bin auch leidenschaftliche Fahrradfahrerin, ich habe den Ehrentitel "Radelnde Spreewaldgurke", weil ich die 250 Kilometer Spreewaldweg gefahren bin, aber bei diesen Temperaturen und Witterungsverhältnissen Fahrrad zu fahren … Unser Problem bei den Radwegen ist, dass die zwar geräumt werden. Den Schnee bekommt man aber natürlich nicht restlos weg.
Herr Mlacik, kommen Sie bei dem ganzen Schneeschippen und Streuen überhaupt noch zum Saubermachen?
Wenn Schnee liegt, steht die Reinigung zwangsläufig im Hintergrund. Die Bearbeitung der Glätte hat dann Vorrang, weil für den Bürger und die Verkehrssicherheit gesorgt werden muss.
Und der Dreck bleibt liegen?
Nein, so nicht. Wir leeren die Papierkörbe und sehen zu, dass Müll wenigstens abgesammelt wird. Was unter der Eisdecke ist, da kommen wir nicht dran.
Und wenn es taut, sieht man den ganzen Dreck wieder?
Dann ist es erst recht dreckig, klar. Es liegt ja auch noch das Streugut auf den Gehwegen. Mit dem wärmeren Wetter kommt die eigentliche Arbeit auf uns zu. Aber es geht recht zügig, dass wir die Straße wieder in den Griff kriegen.
Wo ist die Stadt denn am dreckigsten?
Das kann man so nicht sagen. Klar, in den Randbezirken ist es sauberer, dafür liegt dort mehr Laub. In der Innenstadt tobt eben das Leben, und dementsprechend sieht es aus. Wir haben in unseren Gebieten allerdings Schwerpunkte.
Wo zum Beispiel?
Die Badstraße ist ein ganz großer Schwerpunkt. Die ist immer wieder neu verdreckt, da muss man teilweise auch nachreinigen. Oder die Turmstraße, die Müllerstraße, die ganzen großen Einkaufsstraßen, wo viele Menschen herumlaufen.
Ist die Arbeit bei der BSR eigentlich Ihr Traumjob?
Ich wollte immer schon zur BSR. Ich hatte früher viel mit Reinigung zu tun, als Gebäudereiniger, Gartenlandschaftsbauer, ich habe auch Winterdienste gemacht. 1990 hatte ich mich bei der BSR beworben, aber da war gerade Einstellungsstopp. Ein Freund, der mal bei der BSR gearbeitet hat, riet mir ein paar Jahre später, mich erneut zu bewerben, als die BSR 150 Leute suchte. So bin ich im November 2004 zur BSR gekommen.
Das Image von der Arbeit, die keiner machen will, stimmt also nicht?
Nein, im Gegenteil: Viele wollen zur BSR und schaffen es nicht. Ein Job bei der Stadtreinigung ist wirklich begehrt. Es ist ja auch keine schlechte Arbeit. Wenn eine Mutter zu ihrem Kind sagt: "Wenn du nichts lernst, endest du als Müllmann" - da denke ich mir meinen Teil. Bei der Joblage soll man da erst mal hinkommen. Und es ist auch kein Ekeljob, es ist einfach Müllbeseitigung.
Was gefällt Ihnen daran?
Mit den Kollegen zu arbeiten. Außerdem ist man an der frischen Luft. Manch einer, der im Büro sitzt, der geht raus zum Eisbaden, damit er gesund bleibt. Wir sind immer draußen. Und dann die Großtechnik: Ich habe selber zum Christopher Street Day mit einem LK gearbeitet.
Einem LK?
Einem Ladekranfahrzeug, das den zusammengeschobenen Müll wegschafft. Das macht wirklich Spaß. Man sieht, was man geschafft hat. Bei der Neujahrsreinigung hatten wir auch so einen. Da hatte ich Aufsicht und habe die Schwerpunkte kontrolliert, vor dem Reichstag, dem Kanzleramt. Die Herausforderung war, bis zum Dienstende alles so weit im Griff zu haben.
Klingt nach Stress.
Vieles ist Routine, aber man weiß ja nie, wo am meisten gefeiert wird. Dieses Jahr haben wir das sehr gut gelöst, drei Komplexe eingerichtet mit zwei Kehrichtsammelfahrzeugen, einer Kehrmaschine und einer Großkehrmaschine - die mit dem Seitenpinsel - und haben auf den Großen Stern zugearbeitet.
Sabine Thümler hakt ein:
Dafür haben wir viel Lob gekriegt, auch in der ARD, in der Tagesschau und sogar in den Tagesthemen.
Mlacik: Schön. Das habe ich nicht mal mitbekommen, ich war so müde. Am Neujahrsmorgen um fünf Uhr gings los, ich hatte gar nicht geschlafen.
Sonst bekommen Sie nicht so viel Lob von den Bürgern?
Es gibt schon krasse Sachen. Wenn zum Beispiel gesagt wird, wie faul wir sind. Selbst wenn wir mal draußen Pause machen, heißt es: "Na ja, die BSR trinkt wieder Kaffee und arbeitet nicht." Dabei lassen wir uns nichts zu Schulden kommen. Wir sind darauf bedacht, die Arbeitszeiten effektiv auszunutzen, indem wir draußen vor Ort Pause machen.
Wann haben Sie eigentlich am meisten zu tun?
Hochsaison ist das ganze Jahr über. Richtig viel zu tun haben wir in der Laubsaison von Oktober bis Dezember. Dafür leihen wir uns auch mal von anderen Höfen eine Müllpresse mit einem Saugschlauch hinten, in die 30 Kubik reinpassen. Das macht natürlich Spaß. Weil wir nicht jedes Mal nach 3, 4 Kubikmetern wieder auf den Hof fahren müssen, um zu kippen. Da schafft man 30 Kubikmeter, und zack, weg sind sie.
Nach der Laubsaison kommt der Winter. Und dann?
Danach steht die Grundreinigung an. Wenn es abgetaut ist, gehts los. Offiziell ab März. Da wird von Hausfassade zu Hausfassade alles intensiv gereinigt, also Baumscheiben, die Gullys, die Straße. Auch die Papierkörbe werden erneuert und grundgereinigt.
Der klassische Frühjahrsputz.
Ja, wie zu Hause, nur größer.
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