Die Ufa-Fabrik des Nordostens

Am Samstag lädt die Initiative Kultur- und Bildungszentrum Raoul Wallenberg in Weißensee zum Tag der offenen Tür in eine weitgehend leer stehende Schule. Sie sucht damit Unterstützung für das Projekt, dessen Zukunft unsicher ist

Mächtig ragen die Ecktürme in den Berliner Abendhimmel. Das Ende der 90er-Jahre frisch sanierte steile Dach ist fast noch einmal so hoch wie das Gebäude selbst. Und der Eingang der 1913 erbauten Gemeindeschule erinnert eher an eine mittelalterliche Burg. Doch in wenigen Wochen soll hier in der ehemaligen Raoul-Wallenberg-Schule in Berlin-Weißensee ein offenes Kultur- und Bildungszentrum (KuBiZ) entstehen, mit Theater, Kunst, Bildung, offenen Räumen, intergenerativem Wohnen, Medienwerkstatt und einer großen Gartenanlage auf dem zurzeit noch von Beton versiegelten Hof. Ein öffentliches Gebäude im Übergang zwischen alter und neuer Nutzung. „Wir liegen sowohl räumlich als auch alltagskulturell genau dazwischen“, beschreibt Jens Herrmann von der Initiative KuBiZ die Lage. Das Gelände an der Bernkasteler Straße 78 sei für die Jugendlichen aus den Plattenbauten rund um die Zingster Straße in Hohenschönhausen bequem mit dem Fahrrad zu erreichen, schwärmt der 35-jährige Medienarbeiter. „Aber auch nur wenige Minuten vom Weißen See und der Altstadt entfernt“, ergänzt ihn Helga Burchardt, früher 30 Jahre lang Lehrerin an der Raoul-Wallenberg-Schule. Durch das sogenannte Komponistenviertel, „einem nicht nur wegen des nahegelegenen großen jüdischen Friedhofs sehr jüdisch geprägtem Viertel Berlins und die Kunsthochschule“ gebe es hier eine gewisse bildungsbürgerliche Tradition.

Den Namen Raoul Wallenberg „möchte ich unbedingt für dieses Gebäude erhalten“, fordert Burchardt, die weiterhin im Förderverein der Schule aktiv ist. Wallenberg hatte als schwedischer Diplomat 1944 in Budapest rund 10.000 Schutzpässe für von den Nazis verfolgte Juden ausgestellt und rettete sie damit vor dem Tod in Auschwitz. Nach der Befreiung Ungarns vom Faschismus durch die Rote Armee wurde er nach Moskau verschleppt und verschwand dort auf bis heute ungeklärte Weise. Bei diesem Thema blüht Burchardt auf. Aber angesprochen auf die Zukunft des Schulgebäudes ist sie „müde“, weil es aus ihrer Sicht „außer Lippenbekenntnissen wenig Unterstützung durch die Politik gibt“.

Dennoch ist nichts entschieden. Eine „Duldung bis zur endgültigen Klärung“ haben sowohl Burchardts Theater AG, der weitgehend selbst verwaltete Jugendclub „Bunte Kuh“ als auch die Musikschule mit seinem Chor und Orchester als Zwischennutzer in der seit drei Jahren leer stehenden Schule. Im April zogen die Jugendlichen von „Bunte Kuh“ hier ein, aus einem anderen rückübertragenen Haus vertrieben, renovierten ihre Räume im Erdgeschoss und Keller. Jetzt hoffen sie, hier endlich eine dauerhafte Bleibe zu finden. „60 bis 70 Jugendliche kommen täglich zu uns“, berichtet Kai Stiller, Mitarbeiter von „Bunte Kuh“. Und ganz Pädagogin betont Burchardt, „man müsse den Jugendlichen auch mal das Gefühl geben, sie sind willkommen.“

Seit vier Jahren bemühen sich die rund 30 MitstreiterInnen der Initiative, die zu zwei Dritteln aus dem Nordosten Berlins stammen, um ein „größeres antifaschistisches und soziokulturelles Zentrum“. Hermann, der seit drei Jahren dabei ist, geht es um einen Ort, „an dem die verschiedenen Milieus zusammenkommen“. Zuerst bewarb sich die Initiative um das ehemalige Kinderkrankenhaus an der Hansastraße. Aber trotz der Unterstützung aus dem Bezirksamt verkaufte der Liegenschaftsfonds (Lifo) es lieber an einen privaten Klinikkonzern. „Seitdem verfallen die denkmalgeschützten Gebäude weiter“, empört sich Herrmann.

Alte Bekannte unter sich

Doch im Sommer 2006 machte sie Christine Keil (Die Linke) und inzwischen stellvertretende Bezirksbürgermeisterin von Pankow auf die leer stehende Schule und den dort aktiven Förderverein von Helga Burchardt aufmerksam. Im Herbst 2006 fanden sich alle Initiativen zusammen; „die meisten kannten sich aus dem bezirklichen Netzwerk gegen rechts“, erinnert sich Herrmann. Im Frühjahr beschloss der Bezirk Pankow das Gebäude in Erbpacht zu vergeben.

Doch dann begann die Auseinandersetzung um die Höhe der Erbpacht. Das Vermessungsamt ermittelte einen „vorläufigen Wert“ von 1,65 Millionen Euro als Grundlage für die Erbzinsberechnung und den Gebäudekauf. Dies findet die Initiative zu hoch. „So ein Gelände ist doch nicht mit leeren Baugrundstücken für Einfamilienhäuser zu vergleichen“, sagt Herrmann, und verweist auf eine vergleichbare Schule in der Scharnweberstraße in Friedrichshain, die der Lifo für rund 600.000 Euro verkaufte.

Herrmann hält dies für eine absurde Stilblüte der städtischen Sparpolitik. „Es kann nicht sein, dass Initiativen, die ehrenamtlich soziokulturelle Aufgaben übernehmen, nun auch noch den Landeshaushalt aufbessern sollen.“ Dabei mache das KuBiZ dem Bezirk ein Angebot, „wir bringen Kultur, Bildung, stabilisieren die Nachbarschaft, bieten Partizipationsmöglichkeiten für alle und treten dezidiert gegen die rechte Jugendkultur und die fremdenfeindliche Stimmung hier im Nordosten auf“, führt Herrmann weiter aus. Christine Keil wollte sich trotz mehrfacher Nachfrage nicht äußern.

Dafür berichten die Initiativler von weiteren Steinen, die ihnen in den Weg gelegt werden. „Die Verwaltung erlaubt sich selbst, den Einbau von Brandschutztüren in die Länge zu ziehen, aber wir sollen solche Auflagen sofort erfüllen“, empören sie sich. „Das wird hier kein schöner Wohnen, sondern Aufbauarbeit“, sinniert Herrmann und vergleicht das Projekt mit der Ufa-Fabrik in Tempelhof. „Da ist das zugehörige Milieu auch erst im Laufe der Jahre entstanden.“ Man dürfe nicht nur „in der Innenstadt weltoffenes Berlin spielen und die Peripherie den Neonazis überlassen“.

CHRISTOPH VILLINGER

Großes Benefiz-Fest mit allen Beteiligten am 1. Dezember von 15 bis 23 Uhr. Mehr Information unter: www.kubiz-wallenberg.de