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: HELMUT HÖGE über Scheißdeutsche

„Zur rechten Zeit erteilte Hiebe /Schaffen Vertrauen, Furcht und Liebe“ (altdeutscher Sinnspruch)

Landauf, landab regt sich das bildungsbürgerliche Feuilleton, ganz zu schweigen von der spießbürgerlichen Politik und dem rechtspopulistischen Boulevard, über zwei rauchende „Schläger“ mit Migrantenhintergrund auf, die einen Schuldirektor i. R. als „Scheißdeutschen“ beschimpften.

Ich kann mir eigentlich keine treffendere Bezeichnung für so eine bayrische Respektsperson denken. Und dass sie ihn zusammenschlugen, ist zwar eine bedauerliche Entgleisung, aber erstens haben sie damit allen Rauchern aus der Seele getreten, die nun permanent von selbsternannten Rauchverbotswächtern angepisst werden, und zweitens werden doch umgekehrt andauernd ausländisch aussehende Jugendliche von Kerndeutschen als Scheißausländer beschimpft, sogar zusammengeschlagen, angezündet, von postfaschistischen Polizisten an die Wand gestellt oder sonst wie mies behandelt.

So beschlossen zum Beispiel die Clubbetreiber in Berlin unlängst, keine „Araber“ mehr in ihre Läden reinzulassen. Und der Sohn meines türkischen Nachbarn wurde neulich vor einer Diskothek in Eberswalde von einem Kampfhund gebissen, den sein Besitzer auf ihn losgelassen hatte. Als er in die Disko flüchten wollte, wies ihn der Türsteher mit den Worten ab: „Kanacken lassen wir hier nicht rein!“ Ähnliches drohte den „Schwarzköpfen“ mit mohammedanischem Religionshintergrund auch pauschal beim Kreuzberger Prinzenbad, nachdem es dort zu „Rüpeleien“ gekommen war.

Einer der wenigen, der die jungen Kanacken dort verteidigte, war der Stammschwimmer Hadi (Migrationshintergrund iranisch): „Zu Hause hören sie ständig die Eltern von Abschiebung reden, dann kommen sie hierher und können sich nicht mal ein Eis leisten. Das ist frustrierend. In den Männerduschen gibt es oft Ärger. Viele haben keine Ausbildung, keine Perspektive. Nun will man sie auch hier abschieben. Aber das Problem ist damit nicht gelöst.“

Vor einiger Zeit wohnten zwei thailändische Jugendliche bei mir, Eh und Eg, die gerade aufs Gymnasium gekommen waren und denen ich helfen sollte. Ihre Mutter hatte einen Job in Westdeutschland und ihr Vater lebte in Japan. Sie waren sehr streng erzogen und brav – zu brav. Eg telefonierte danach noch ab und zu mit mir, wenn er irgendein Problem hatte. Einmal kam er sogar zu mir in die Wiener Straße, obwohl er Kreuzberg ansonsten „wegen der Türkengangs“ nicht bei Dunkelheit betritt.

Er ist klein und schmächtig – und inzwischen 18. Sein Problem war diesmal: Er war mit zwei thailändischen Freunden, einer davon ein halber Amerikaner, in Moabit unterwegs gewesen. Dabei hatten sie laut gegrölt. Ein „großer blonder Deutscher“ hatte sie deswegen angeschnauzt; sie hatten ihn daraufhin als „Scheißdeutschen“ beschimpft. Es kam zu einer kurzen „Rangelei“. Der „Deutsche“, der an der TU arbeitete, ließ sich anderntags krankschreiben. Und die zwei Thais sowie der Halbthai sollten dafür alles in allem 2.500 Euro zahlen.

Der clevere Halbthai zog sich sofort mit Hilfe eines Anwalts aus der Affäre, und ebenso Egs anderer Freund, so dass Eg schließlich übrig blieb – und die gesamte Summe bezahlen musste. „Kannst du mir helfen?“, fragte er mich. Ich rief den Autonomenanwalt Lüko Becker an. Der setzte einen seiner dünnen Schriftsätze auf – und damit war Eg schon sein „Problem“ los. Er brauchte nicht einmal den Anwalt zu bezahlen. Zum Dank lud er mich bei McDonald’s zu einem „Menü“ ein. Und ich war ein bisschen stolz auf ihn. Nicht weil er mich freihielt, sondern weil er sich was getraut hatte – und einen „Scheißdeutschen“ angegriffen hatte.

Seien wir ehrlich: Wenn irgendwo auf der Welt ein Mistvolk – gleichermaßen nach unten hin überheblich wie zur Macht hin unterwürfig – es verdient, attackiert zu werden, dann ist es dieses scheißdeutsche! Allein schon, dass eine Bande hochbezahlter deutscher Medienhengste so einen Scientologenbock wie Tom Cruise mit einem „Bambi“ ehrt – ausdrücklich wegen seines „Mutes“, den antisemitischen, antikommunistischen und einarmigen Adligen Stauffenberg, der nicht Adolf, dafür aber über eine Million „Fremdvölkische“ auf dem Gewissen hat, in einem Ami-Idiotenfilm als „positiven Helden“ darzustellen – „bedarf einer anderen Behandlung als der literarischen“, wie der Offiziersliterat Ernst Jünger sich auszudrücken beliebte (allerdings im Zusammenhang mit seiner Kritik am pazifistischen tschechischen „Schwejk“-Autor Hašek).