… Eisenmans Stelen?
: Reißen

Uns hat natürlich wieder keiner gefragt, damals, als Peter Eisenman den Zuschlag zum Bau des Holocaust-Denkmals bekam. Wir schauen nämlich in der Kochstraße tagtäglich auf ein Gebäude, das lange Eisenmans einziges verwirklichtes Projekt in Berlin war: sozialer Wohnungsbau der 80er-Jahre, eine „Collage ineinander verkanteter Baukörper“, wie Architekturkritiker sich auszudrücken belieben. Entscheidend ist aber etwas anderes: Dem Zustand der Fassade nach hat das Haus gefühlte hundert Jahre auf dem Buckel. Ausgeblichene Farben, schwarze Feuchtigkeitsspuren. Dass dem Stelenfeld an der Ebertstraße ein ähnliches Schicksal beschieden ist – man hätte es ahnen können.

Schon kurz nach Fertigstellung wiesen Eisenmans Quader Haarrisse auf. Nun offenbart ein vom Fachmagazin für politische Substanzfragen Cicero angefordertes Gutachten das aktuelle Ausmaß des Desasters: 1.361 der 2.700 Stelen weisen Risse auf, hat ein Sachverständiger festgestellt, und in 40 Prozent der Fälle sind diese breiter als 0,2 Millimeter – was in Sachverständigenkreisen als „technischer Mangel“ gilt.

Der Gutachter, dessen Expertise auf der Cicero-Website abrufbar ist, erklärt auch, warum das so ist: Die hohlen Stelen dehnen sich auf der der Sonne zugewandten Seite stärker aus – sie „arbeiten“ sozusagen. Weil Beton ein verhältnismäßig sprödes Material ist, bilden sich deshalb Risse, die sich im Winter durch einsickerndes und gefrierendes Wasser vergrößern können. Dramatische Schlussfolgerung: Bei hohen Stelen, die auch noch „aus architektonischen Gründen“ schräg stehen, könnten irgendwann Stücke abplatzen, Besucher wären in Gefahr.

Und was sagt Peter Eisenman? Der hat vor einiger Zeit einen gewagten Vergleich gezogen: Wer 2.700 Trauben kaufe, müsse ein paar verfaulte eben in Kauf nehmen. Aber eröffnet die Mahnmals-Erosion nicht noch andere Perspektiven? Wer sagt denn, dass der Verfall nicht Teil des Kunstwerks ist? Dass der Architekt die, ähem, furchtbar deutsche Beton-Debatte nicht einkalkuliert hat? Ausschließen sollte man das nicht – auch wenn uns beim Blick aus dem Redaktionsfenster gewisse Zweifel befallen.

CLP FOTO: REUTERS