Jung, schwanger, perspektivlos

In Marzahn-Hellersdorf haben zwei Prozent aller Neugeboren minderjährige Mütter. Das ist doppelt so viel wie im Berliner Schnitt. Vor allem jungen Müttern aus deutschen und vietnamesischen Familien fehlt die notwendige Reife für die Erziehung

VON MARINA MAI

Nirgendwo in Berlin gibt es so viele minderjährige und junge Mütter wie im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. 2,1 Prozent der dort geborenen Kinder haben eine Mutter, die noch nicht volljährig ist. Das geht aus dem jüngsten Gesundheitsbericht des Bezirks hervor. 8 Prozent der Mütter im Neubaubezirk sind bei der Geburt unter 20 – doppelt so viele wie in Gesamtberlin.

„Häufig kommen diese Mütter aus sozial schwachen Verhältnissen und haben keine abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung, die zu erlangen mit Kind noch schwieriger ist“, konstatiert Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke). Sie verweist auf Studien aus Sachsen, nach denen minderjährige Mütter wegen fehlender beruflicher Perspektiven und sozialer Leere ein Kind als Ausweg sehen würden. Ein Kind sei emotionaler Ersatz, dem sie Liebe geben und von dem sie Liebe empfangen wollen. Minderjährige Mütter würden zudem versuchen, sich über ein Kind zu definieren. Sie erwarten eine Aufwertung ihres Sozialstatus. „Gerade für Jugendliche mit Förder- und Hauptschulkarrieren scheint die frühe Elternschaft auch ein Weg zu sein, gesellschaftliche Normalität und Akzeptanz zu erlangen“, so die Bezirksbürgermeisterin.

Die Kinderstube des Bezirkes ist Marzahn-Nord, ein sozial problematisches Gebiet am äußersten Stadtrand. Jeder dritte Bewohner dort ist Spätaussiedler aus den GUS-Staaten. „Die jungen Mütter sind sowohl alteingesessene Deutsche, Spätaussiedlerinnen als auch Vietnamesinnen“, sagt Bojana Jähne vom Kinder- und Jugendhilfezentrum des DRK im Bezirk. Um die Spätaussiedlerinnen sorge sie sich am wenigsten. „Die haben oft trotz junger Jahre feste Partner, die sie auch zu den Behörden begleiten. Und sie leben in intakten Großfamilien.“ Bei der Kindererziehung helfe meist Groß- und Urgroßmutter mit. Junge Spätaussiedlerinnen seien oft ambitioniert, trotz Mutterschaft eine Ausbildung zu absolvieren, so die DRK-Beraterin.

Anders die jungen deutschen und vietnamesischen Mütter. „Die deutschen Mütter stammen oft aus bildungsfernen Familien, haben keinen Schulabschluss und wissen in der Regel nicht einmal, wer der Kindesvater ist“, sagt Jähne. Nicht selten kämen Frauen zu ihr, die mit 23 Jahren schon das dritte Kind erwarten. „Ihre Perspektive ist die Erwerbslosigkeit.“

„Marzahn-Nord ist auch die Hauptstadt der alleinerziehenden Vietnamesinnen“, erzählt Tamara Hentschel vom vietnamesischen Verein Reistrommel. Der hat vor einem Jahr dort seine Zelte aufgeschlagen, um näher an dieser sozialen Problemgruppe zu sein. „Das sind oft ehemalige Zigarettenverkäuferinnen aus bildungsfernen Familien in Zentralvietnam“, berichtet Hentschel. Viele Frauen seien lediglich vier oder fünf Jahre zur Schule gegangen. Die Mutterschaft sei für sie ein Ausweg aus dem Zigarettenverkauf und der Abhängigkeit von den kriminellen Banden. Erziehungskompetenz sei selten vorhanden. „Die Kinder werden oft nicht einmal ordentlich gewaschen und angezogen“, sagt die Sozialberaterin. „Da wächst eine ganz andere Gruppe vietnamesischer Kinder heran als die vorbildlichen Schüler, die ein paar Jahre älter sind.“

Warum gerade im Marzahner Norden so viele ledige, junge und bildungsferne Mütter leben, erklärt Bojana Jähne mit der abgeschiedenen Lage und der sozialen Segregation. „Sozial schwache Familien wurden aus Mitte und Prenzlauer Berg verdrängt und sind hier gestrandet, wo es genügend preiswerte Wohnungen gibt.“

Der Bezirk lässt sich einiges einfallen, um die Erziehungskompetenz junger Mütter zu stärken. So gibt es im problematischen Marzahner Norden jetzt Elternschulen. Kitas werden zu Familienzentren umgebaut, so dass erwerbslose Mütter hier mit ihren Babys Beratung finden.