„Geschichte muss nicht trocken sein“

AUSZEICHNUNG Der 14-jährige Rafael Dolabella Portella wird heute mit dem 1. Preis im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ausgezeichnet. Er forschte über den Rechtsanwalt und Nazigegner Hans Litten

■ Rafael Dolabella Portella besucht das Canisius-Kolleg in Berlin. Der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ist der größte historische Forschungswettbewerb für Jugendliche in Deutschland. Veranstalter ist die Körber-Stiftung. An dem Wettbewerb 2008/09 mit dem Thema Helden nahmen mehr als 6.600 Schüler teil. Foto: privat

taz: Rafael, heute überreicht dir Bundespräsident Horst Köhler einen ersten Preis des Geschichtswettbewerbs. Hast du dir für die Preisverleihung bereits die Krawatte gebunden?

Rafael Dolabella Portella: Nein, aber ich habe mir einen neuen Anzug gekauft.

Wie kommt ein 14-Jähriger auf die Idee, beim Geschichtswettbewerb mitzumachen?

Ich interessiere mich sehr für Geschichte und war beim Landesarchiv Berlin mit einem anderen Geschichtsthema beschäftigt, als ich von einer Mitarbeiterin auf den Wettbewerb angesprochen wurde. Zuerst wusste ich nicht, welches Thema ich behandeln sollte – als ich aber mit meiner Familie in Mitte an der Littenstraße entlanglief und keiner wusste, wer Litten war, hatte ich mein Thema.

Hans Litten verteidigte in der Weimarer Republik Arbeiter und Kommunisten und starb im KZ Dachau. 1927 zog er nach Berlin. Was ist von ihm in Berlin noch sichtbar?

Außer der nach ihm benannten Straße mit dem Litten-Haus, in dem die Bundesrechtsanwaltskammer ihren Sitz hat, ist nichts zu entdecken. Es gibt nur noch einen „Stolperstein“ in der Zolastraße 1a, hier wohnte Litten.

Wie bist du bei deiner Recherche vorgegangen?

Ich habe im Internet gesucht und in der Staatsbibliothek, wo ich auf das Buch „Denkmalsfigur“ von drei Historikern gestoßen bin. Damit habe ich zum größten Teil gearbeitet.

Was war das Ergebnis?

Ich konnte zwar keine Zeitzeugen befragen, aber ich habe eine Art Hausarbeit geschrieben und Kopien und Dokumente gesammelt. Außerdem habe ich Experten befragt. Es gab verschiedene Ansichten, wen Litten heute vertreten würde. Ein Experte meinte, Litten würde vor allem linksgerichtete Aktivisten vertreten; eine andere Expertin glaubt, vermutlich die RAF. Er wäre auf jeden Fall unbequem.

Du bist den Spuren von Litten nach 1945 nachgegangen. Wie wurde in der DDR und der Bundesrepublik an ihn erinnert?

Die DDR hat bereits kurz nach ihrer Gründung die erste Volksrichterschule nach ihm benannt, das war 1950. Sie hat ihn von Anfang an verehrt. In der Bundesrepublik fingen die kritischen Juristen erst in den 80er-Jahren an, ihn als Vorbildfigur zu sehen. Bei einer Veranstaltung über ihn 1988 in Dachau wurde es peinlich, weil ein DDR-Historiker eingeladen werden musste. Sonst wusste niemand so gut über Litten Bescheid.

Du hast viel Zeit aufgewendet für deine Arbeit und hauptsächlich in den Schulferien recherchiert. Ist die Person Litten für dich lebendig geworden?

Ja, ich kann mir gut vorstellen, wie er gedacht und wie konsequent er nach seinen Werten gehandelt hat. Geschichte muss nicht so trocken sein.

Warum ist er für dich ein Held?

Weil er selbstlos gehandelt hat und sich für andere einsetzte. Er handelte konsequent zivilcouragiert und ist nicht dem Mainstream nachgegangen, sondern seinem Gewissen. Er wollte unter Hitler nicht fliehen, weil das Proletariat es auch nicht konnte. Das zeigt eine starke Solidarität. Ich kann mir Litten sehr gut als Vorbild vorstellen.

Was denkst du: Welche Helden haben andere Jugendliche in deinem Alter heute?

Schauspieler und Musiker. Politische Vorbilder fehlen.

Und woher rührt dein politisches Interesse?

Vor allem von meinem Bruder, der politisch sehr interessiert ist.

Wie fühlst du dich so kurz vor der Auszeichnung?

Ich bin auf jeden Fall aufgeregt.

INTERVIEW: MARSIDA LLUCA