Montagsinterview Finanzsenator Ulrich Nußbaum: "Der Berliner Haushalt ist total überfischt"

Keine höheren Fahrpreise bei der BVG, keine Kürzung bei Hartz IV, beitragsfreie Kitas - das seien verständliche Wünsche, meint Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum. Doch alles gleichzeitig gehe nicht.

Ulrich Nußbaum am Ufer der Spree vor seinem Amtssitz Bild: Bernd Hartung

taz: Herr Nußbaum, Sie sind jetzt schon zwei Monate Finanzsenator. Macht es Ihnen noch Spaß?

Ulrich Nußbaum: Na klar, warum sollte das anders sein?

Weil der erste große Beschluss in Sachen Haushalt war: 2,8 Milliarden Euro neue Schulden für nächstes Jahr.

Der Pfälzer: Ulrich Nußbaum (52) stammt aus einer Handwerkerfamilie in Rheinland-Pfalz. Er studierte Jura und Politik und schrieb seine Dissertation über "Rohstoffgewinnung in der Antarktis".

Der Fischhändler: Seit Mitte der 80er-Jahre betätigt sich Nußbaum im Fischgeschäft. 1998 übernahm er als Geschäftsführender Gesellschafter die SLH Sea Life Harvesting Gruppe in Bremerhaven, die Tiefkühlfisch importiert.

Der Politiker: Von 2003 bis 2007 war der parteilose Nußbaum Finanzsenator im SPD-geführten Bremer Senat. Im Mai wurde er Nachfolger von Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin.

Der Haushälter: Vor einer Woche legte Nußbaum den Haushaltsentwurf für 2010 und 2011 vor. Wegen der Wirtschaftskrise ist ein Neuverschuldung von 2,8 Milliarden pro Jahr eingeplant.

Der Betuchte: Edle Füllfederhalter, Einstecktuch und ein schicker Bentley. Nußbaum pflegt einen aufwendigen Lebensstil. Fragen zu seinen Autos möchte er aber nur bei ausgeschaltetem Tonbandgerät beantworten.

Schulden zu machen macht mir keinen Spaß. Aber der Beruf gefällt mir natürlich trotzdem, weil sich bei einem Gesamthaushalt von 22 Milliarden sehr viel gestalten lässt.

2,8 Milliarden Euro, das ist eine kaum vorstellbare Summe. In Ihrem zweiten Leben sind Sie Importeur von Tiefkühlfisch. Können Sie sagen, wie viel Fischstäbchen man für das Geld bekäme?

Mal überschlagen - 2,8 Milliarden …

15 Stück kosten beim Discounter 1,99 Euro. Wir kommen also auf 21 Milliarden Fischstäbchen. Der Jahresverbrauch in Deutschland liegt bei 1,9 Milliarden Stück - das heißt, Berlin macht mehr Schulden, als es Fischstäbchen gibt …

… nur in Deutschland, aber dafür brauchen Sie ja Importeure wie mich.

Die Frage ist: Ist der Berliner Haushalt nicht schon total überfischt?

Der ist total überfischt. Der gehört eigentlich schon zu einer geschützten Spezies, wir müssten Bestandsschutz machen.

Wie würde der wohl aussehen?

Dass wir die Ausgaben nicht weiter erhöhen können oder sogar senken müssten. Es ist die zentrale Frage, ob der Ausgabenkorridor, den wir uns in der Vergangenheit geleistet haben, nach diesem 11. September der Finanzwirtschaft noch zu halten ist.

Was ist für Sie Luxus?

Zeit und faulenzen.

Nicht ein schönes Auto?

Nein.

Es gibt Ihnen nichts, am Lenkrad zu sitzen?

Ich sitze meistens daneben und lasse mich gerne von meiner Frau fahren.

Apropos "sich fahren lassen": Ein BVG-Fahrschein für 2,10 Euro - ist das auch ein Luxus, den sich die Stadt nicht mehr leisten kann? Sie haben jüngst so was angedeutet.

Da muss man ja erst mal erkennen, welche Fahrkarte ich wirklich brauche. Das ist mir letztes Mal schwergefallen. Da habe ich ein zu teures Ticket gekauft, weil sich mir das Kurzstreckenticket nicht erschlossen hat. Das liegt vielleicht an meinem technischen Verständnis am Automaten.

Wenn Sie dann doch den richtigen Knopf drücken, werden Sie als aktuelle Preise 1,30 Euro für die Kurzstrecke oder die 2,10 Euro für einen Einzelfahrschein finden. Wird das zu halten sein?

Als Aufsichtsratsvorsitzender der BVG hab ich mir jetzt mal die Zahlen angeschaut. Eins ist mir aufgefallen: Dass die BVG, wenn wir nichts tun, im Jahr 2020 zwischen 1,6 und 1,8 Milliarden Euro Schulden haben wird. Das kann nicht unser Ziel sein. Da stelle ich die Frage, ob man über eine Teilentschuldung nachdenken muss.

Und: Muss man?

Nun, das ist ein Punkt! Der zweite Punkt: Die BVG ist ein großes Unternehmen. Und jedes Unternehmen, auch wenn es schon gut aufgestellt ist, hat immer noch Verbesserungspotenzial.

Ist das jetzt ein Euphemismus, oder halten Sie die BVG tatsächlich für gut?

Sie werden von mir nicht die Aussage hören: Das ist schlecht, und das ist gut. Den aktuellen Wasserstand bewerte ich gar nicht. Mich interessiert: Wie kann ich das Unternehmen nach oben holen, egal von welcher Ausgangsbasis? In jedem Unternehmen gibt es immer Optimierungspotenzial.

Und wie wollen Sie optimieren?

Können wir den Berlinern sagen: Wir nehmen 5,6 Milliarden neue Schulden in den Jahren 2010/11 auf, die auch alle belasten, aber bei der BVG darf es keine Tarifanpassung geben? Das ist eine Frage des offenen und ehrlichen Umgangs miteinander. Die Brandenburger, von denen wir ja wegen des gemeinsamen Verkehrsverbunds abhängen, wollen keine Anpassung wegen des Wahljahrs - was ich nicht ehrlich finde.

Die BVG, vorher der Haushalt und der Streit über die Charité - Sie sind in den ersten zwei Monaten ja gleich durchgestartet. Als etwa der Siemens-Vorstandschef Peter Löscher seinen Job antrat, hat er gesagt, er wolle erst mal 100 Tage nur zuhören.

Als ich mich entschieden habe, nach Berlin zu kommen, da habe ich mir ja dabei was gedacht. Und das war nicht die Repräsentation. Das hätte ich auch in Bremen haben können. Gehen Sie mal davon aus, dass ich mich nicht über Titel und Würden definiere, sondern darüber, was ich gestalten kann. Und in einem politischen Umfeld wie Berlin können Sie Dinge gestalten, die Sie auch als Unternehmer nicht gestalten können.

Aber nur unter der Voraussetzung, dass Sie sich unbeliebt machen. Der Wirtschaftssenator kann Fördergelder verteilen, die Sozialsenatorin kann sich schützend vor Witwen und Waisen stellen. Ein Finanzsenator aber muss immer nur den Daumen draufhalten.

Was heißt das, mich unbeliebt machen? Ich glaube schon, dass die Leute wissen, dass ich verantwortlich gemacht werde für Gelder, die die Kollegen ausgeben. Die Leute wissen aber schon, dass es auch jemanden geben muss, der konsequent schaut, was mit ihrem Geld passiert. Dass man dabei dem ein oder anderen auch auf die Füße treten muss, gehört dazu.

Dem Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner haben Sie beim Thema Charité auf die Füße getreten, dem Regierenden Bürgermeister bei seinen Wunschprojekten Landesbibliothek und Kunsthalle hingegen nicht. Ober sticht Unter?

Das sehe ich so nicht. Bei der Charité fehlt doch ein Gesamtkonzept. Das Parlament hatte ja schon 330 Millionen bewilligt - das ist gar nicht vollständig abgerufen worden. Jetzt wurde bemerkt , dass man das Bettenhochhaus nicht bei laufendem Betrieb sanieren kann. Dann kam Plan B …

der Neubau des Bettenhauses.

Genau. Und dann wurden es von Mitte Mai bis Mitte Juni plötzlich 450 Millionen. Ich weiß das noch so, weil ich wegen der Klausurtagung des Aufsichtsrats am 16. Mai einen runden Geburtstag meiner Frau nicht so feiern konnte wie geplant.

Die wird sich gefreut haben.

Das war wirklich nicht so toll. Aber es ging ja um viel Geld, und die Charité ist von großer Bedeutung für Berlin.

Auch bei Wowereits Projekten geht es um viel Geld: 248 Millionen für die Landesbibliothek, 30 Millionen für die Kunsthalle.

In den Chefgesprächen habe ich mit dem Regierenden Bürgermeister argumentiert: Wenn die Kunsthalle kommen soll, dann muss ein anderes Projekt gestrichen werden. Dann hat Klaus Wowereit sich bereit erklärt, das Bauhaus-Archiv rauszunehmen, das schon mit 30 Millionen angemeldet war. Außerdem sind die Kunsthalle und die Landesbibliothek Zukunftsausgaben, die sich noch gar nicht in diesem Haushalt widerspiegeln.

Das hat Wowereit so nicht öffentlich erklärt. Aber das ist ja nicht ihr Problem.

Natürlich ist das auch mein Problem, wir sind ja ein gemeinsamer Senat. Deshalb stehe ich dazu, und meine persönliche Meinung ist: Wenn wir schon bauen, dann auch richtig, dann soll es auch für die Zukunft Bestand haben.

Sie sind ohne Parteibuch nicht zum Genossen-Du verpflichtet. Duzen Sie im Senat außer Wowereit jemanden?

Ja.

Wen?

Herrn Körting zum Beispiel.

Auch die Kollegen von der Linkspartei?

Nein.

Was war die Linke für Sie, als Sie nach Berlin kamen: eine große Unbekannte, ein DDR-Relikt oder eine ganz normale Partei?

Ich habe in den Haushaltsberatungen mit den Senatskollegen von der Linken ganz normal zusammengearbeitet. Und das Gleiche gilt für die Zusammenarbeit im Abgeordnetenhaus.

Bei der Vorstellung des Doppelhaushalts 2010/2011 sagten Sie, er sei wegen der Wirtschaftskrise eigentlich unplanbar. Und dass Sie vielleicht schon im November wieder alles über den Haufen werfen müssten.

Sie planen doch auch bei der taz. Wir wissen, dass in der heutigen Zeit Planungen nicht mehr so bestandskräftig sind wie noch vor zehn, zwanzig Jahren. Alles steht unter dem Vorbehalt, dass es am Ende auch bezahlt werden kann.

Und wie bezahlen wir dann in zwei, drei Jahren, wenn die Wirtschaftskrise richtig zugeschlagen hat?

Wenn die Einnahmen nicht nachkommen, dann müssen Sie die Ausgaben verändern. Sie können die Ausgaben in einem Land natürlich nicht so schnell runterfahren wie in einem Unternehmen. Sie können nicht einfach Schulen oder Universitäten schließen. Wichtig ist, dass die langfristige Perspektive stimmt.

Blieben zusätzliche Einnahmen. Was halten Sie von der SPD-Idee einer Reichensteuer für Haushalte mit einem Jahreseinkommen von über 250.000 Euro? Das würde Sie ja auch ganz persönlich treffen.

Wir werden nicht umhinkommen, dass sich die Wohlhabenden mit zusätzlichen Abgaben am Gemeinwesen beteiligen. Man kann die Spitzenverdiener nicht ausschließen. Jeder muss sich beteiligen, aber wir müssen auch unnötige Investitionen abbauen.

Jeder muss sich beteiligen? Gilt das etwa auch für die Hartz-IV-Empfänger?

Das ist eine schwierige Diskussion, denn man ist ja nicht aus Spaß Hartz-IV-Empfänger. Wenn aber die Ausgaben für Hartz IV weiter steigen, dann wird es am Ende eine Verteilungsentscheidung geben müssen. Keine höheren Fahrpreise bei der BVG, keine Kürzung bei Hartz IV, beitragsfreie Kitas - das ist alles verständlich und schön. Aber alles zusammen kann es nicht geben. Irgendwo müssen wir einsparen, wenn die Einnahmen wegbrechen.

Das klingt nach einer ganzen Reihe harter Entscheidungen, die uns bevorstehen.

Ich glaube, dass spätestens nach der Bundestagswahl Schluss ist mit dem Gerede über Steuersenkungen. Dafür ist doch gar kein Raum. Wer so etwas fordert, ist ein Hasardeur oder Traumtänzer oder befindet sich im Wahlkampfkoma.

Bei der nächsten Berliner Wahl heißt der SPD-Spitzenkandidat vielleicht nicht mehr Wowereit, falls der auf die Bundesebene wechselt. Was machen Sie dann?

Das entscheide ich, wenn das so weit ist. In Bremen habe ich ja einen Wechsel erlebt, als Henning Scherf mitten in der Legislaturperiode ging und Jens Böhrnsen kam - da bin ich ja auch geblieben.

Kommen wir noch mal auf das Thema Fisch zurück. Damit kennen Sie sich ja aus.

Einigermaßen.

Und: Haben Sie einen Tipp, wo man in Berlin guten Fisch kriegt?

Zum Beispiel im KaDeWe. Der ist zwar nicht billig, aber Sie haben mich ja nach gutem Fisch gefragt. Und Qualität ist meist teuer.

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