Im apokalyptischen Gaga-Modus

Werner Herzogs Science-Fiction-Fantasie „The Wild Blue Yonder“ läuft beim Filmfestival „Übermorgen“

Wenn Werner Herzog einen Science-Fiction-Film dreht, kann man sicher sein, dass darin keine normalen Außerirdischen vorkommen. In „The Wild Blue Yonder“ steht ein ET, gespielt von einem herrlich irren Brad Dourif, alleine in der kalifornischen Wüste und tritt konsterniert in den Staub. „We suck!“, ruft er in die Kamera, während er auf die Ruinen einer Stadt im Hintergrund weist. Diese Stadt hat sein Volk Jahrhunderte zuvor als extraterrestrischen Gegenentwurf zur amerikanischen Hauptstadt geplant. Und worum drehte sich in dieser hochentwickelten Kultur, die die interstellare Raumfahrt längst im Griff hatte, das gesamte öffentliche Leben? Um die Shopping-Mall, worum sonst? Dourif tritt ganz nah an die Kamera heran: „Ihr Menschen seht in Außerirdischen superintelligente Lebensformen aus dem All, die innerhalb von zwei Minuten New York dem Erdboden gleichmachen können. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber wir Aliens sind Versager. We suck!“

Herzog macht sich in „The Wild Blue Yonder“ einen Spaß daraus, den Zuschauer an der Nase herumzuführen. Wenn Dourif von der Ankunft seiner Vorfahren erzählt, zeigt er schlecht belichtete Schwarzweißaufnahmen vom Jungfernflug eines historischen Fluggeräts. Die Geschichte eines suizidgefährdeten Aliens unterlegt er mit Bildern von der Testfahrt einer unfallsicheren Straßenbahn: Der Tester schmeißt sich kurzerhand vor den Triebwagen. Wie schon in „Grizzly Man“ bedient Herzog sich erneut fremden Filmmaterials, um sein ganz persönliches Weltbild in Szene zu setzen. Doch den narzisstischen Selbstzeugnissen des Naturfreaks Timothy Treadwell wohnte die tragische Qualität schon inne. In „The Wild Blue Yonder“ muss Herzog sie seinen Bildern erst noch einflößen.

Aus dem Außerirdischen spricht natürlich niemand anderes als Herzog selbst, wenn der vom Leben seines Volkes im Exil berichtet und gleichzeitig die – umgekehrte – Reise der Menschen in die Tiefe des Alls beschreibt, nachdem ein Virus die Erde unbewohnbar gemacht hat. Erst rechnet er voll Hohn vor, wie vergeblich der Griff nach den Sternen mit unserer rückständigen Technik ist; dann lässt er amerikanische Physiker abstruse Theorien von „chaotischem Reisen“ durch galaktische Wurmlöcher erklären. Als die Menschen schließlich auf dem sterbenden Heimatplaneten der Aliens landen, befinden sich Herzog und Dourif vollends im apokalyptischen Gaga-Modus. Ihren ersten außerirdischen Kontakt haben die Raumfahrer mit einer riesigen Qualle, die anmutig durch den tiefblauen kosmischen Ozean gleitet.

Die Sorte Naturfilm, die Herzog seit einigen Jahren kultiviert, hat wenig gemein mit dem väterlichen Gestus eines Heinz Sielmann oder dem humanistischen Pioniergeist eines Jacques Cousteau. Bei Herzog geht es direkt an die Substanz. Da ist die Natur todbringendes, wucherndes Chaos; er genießt es, in superdarwinistischen Bildern zu schwelgen. Alles, was Herzog in der Erhabenheit der Natur zu sehen vermag, sind Tod und Verderben. Erst wenn er ein augenrollendes Faktotum wie Dourif darin platziert, ist für ihn ein Gleichgewicht der Kräfte hergestellt.

So zeugen auch die spektakulären Unterwasseraufnahmen in „The Wild Blue Yonder“ nur von einer weiteren Katastrophe. Denn im Grunde erzählt Herzog die Geschichte von zwei sterbenden blauen Planeten und vom Untergang zweier Zivilisationen. Die schwerelosen Bilder aus der Weltraumkapsel, unveröffentlichtes Nasa-Filmmaterial vom Testflug STS-34, entfalten, untermalt von den Mantra-artigen Drones des holländischen Cellisten Ernst Reijseger und des senegalesischen Sängers Mola Sylla, einen meditativen Groove, doch letztlich bleiben es traurige Dokumente von der Einsamkeit des Weltraumfahrers und der Banalität seiner Tagesabläufe. Als die Astronauten nach 800 Jahren zur Erde zurückkehren, müssen sie feststellen, dass ihr Planet menschenleer ist.

Man darf Herzog durchaus als Ästheten begreifen, als Ästheten mit einem besonderen Blick. Er sieht Tod da, wo Natur blüht, und Schönheit in der Routine des Lebens. Es ist kein Witz, wenn er im Abspann den Technokraten der Nasa für ihre poetische Ader dankt. ANDREAS BUSCHE

„The Wild Blue Yonder“, Regie: Werner Herzog. Mit Brad Dourif, Ellen Baker u. a. USA 2005, 81 Min. – 11.11., 20 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain