„Ein Stamm plante unsere Entführung“

Zwei Jahre brauchte die Regisseurin Roya Sadat, um in Afghanistan eine Frau zu finden, die genügend Mut hatte, in einem Film über die rechtlose Lage der Frauen mitzuspielen. Ein Gespräch mit der Regisseurin, deren Film „Three Dots“ in der Reihe „Splice In – Filme aus Afghanistan“ im Arsenal läuft

Roya Sadat, geboren 1981 in Herat im Westen Afghanistans, hat dort Jura und Politikwissenschaft studiert. 2004 drehte sie nach einem selbstgeschriebenen Drehbuch und aus eigenen Mitteln den Spielfilm „Three Dots – Se Noughta“. Eine formelle Ausbildung als Regisseurin hatte sie davor nie erhalten, verschlang jedoch bereits als Jugendliche, noch unter der Herrschaft der Taliban, englischsprachige Handbücher und theoretische Schriften über das Filmemachen. Sie ist darüber hinaus Autorin von zwei Kurzfilmen und moderierte mehrere Beiträge für die staatliche Fernsehsendung „Frau und Gesellschaft“. Zurzeit arbeitet sie in der Hauptstadt Kabul beim Fernsehsender Tolo TV. FOTO: WOLFGANG BORRS

INTERVIEW DIETMAR KAMMERER

taz: Frau Roya Sadat, die weibliche Hauptfigur in Ihrem Film „Three Dots“ lebt nahe der afghanisch-iranischen Grenze und ist dort gleich in mehreren Fallen gefangen: bittere Armut und Hunger, traditionelle Familienstrukturen, Feudalismus, Drogenhandel. Erzählen Sie, wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen?

Roya Sadat: Die Idee entstand bereits zur Zeit der Talibanherrschaft. Damals herrschte eine mehrjährige Dürre im Land. Viele der Nomaden, die im Grenzgebiet lebten, sind nach Herat gekommen auf der Suche nach Arbeit. Aber es gab keine, also mussten sie zurückkehren. Ich bin damals mit der Absicht in diese Region gegangen, für ein Filmprojekt das Leben dieser Leute zu erforschen. Vor Ort habe ich dann all diese Probleme und Strukturen vorgefunden, die Sie erwähnt haben: Kriminalität, Armut, Unwissenheit, die Fesseln der Tradition.

Wofür stehen die „drei Punkte“ des Filmtitels?

Sie stehen für ein „Und so weiter“. Sie verweisen darauf, dass diese Probleme immer weiter fortbestehen werden, wenn nichts getan wird.

Was unternimmt die Regierung, um die Rechte der Frauen in diesen Gebieten zu stärken?

Die Regierung hat es nicht einmal geschafft, in den Städten gesellschaftliche Strukturen und Rechtstaatlichkeit herzustellen, geschweige denn in den entlegenen Grenzregionen. Die Probleme, die dort herrschen, sind der Regierung nicht einmal bewusst. Aufmerksamkeit zu wecken war einer der Hauptgründe für mich, diesen Film zu machen.

Dreharbeiten in Afghanistan sind vermutlich an sich bereits kein leichtes Unterfangen. Wie schwierig war es, damit auch noch auf die rechtlose Lage der Frauen hinzuweisen?

Es hat allein zwei Jahre gedauert, bis ich meine Hauptdarstellerin gefunden hatte. Das war das größte Problem. Keine Frau war bereit, in solch einem Film mitzuspielen. Als ich endlich Gul Afrooz gefunden hatte, die keinerlei Kameraerfahrung hatte, musste ich erst das Einverständnis ihrer Familie und ihres Ehemanns einholen. Sie machten zur Bedingung, dass wir keine Bilder oder Poster von ihr veröffentlichen. Außerdem sollte der Film die Tradition nicht verletzen, und sie wollten die Ersten sein, die den Film zu sehen bekommen. Das alles habe ich akzeptiert. Mittlerweile spielt Gul Afrooz die Hauptrolle in einer Fernsehsendung, die ich verantworte.

Offenbar gab es während der Dreharbeiten weitere Schwierigkeiten.

Am sechsten Drehtag haben wir Nachricht erhalten, dass ein Stamm aus der Nachbarregion unsere Entführung plante. Wir mussten sehr schnell diesen Ort verlassen und konnten Außenaufnahmen nur noch nachts drehen. Wir sind dann mit dem gesamten Team in ein anderes Gebiet umgezogen und mussten unsere Darsteller, die ja am ersten Drehort lebten, jeden Tag dorthin transportieren.

Es ist schwer, sich vorzustellen, wie die Anwesenheit eines Filmteams dort gewirkt haben muss.

In allen Grenzgebieten Afghanistans, egal ob zum Iran, zu Turkmenistan oder zu Pakistan, gibt es so gut wie keine Infrastruktur. Kein Fernsehen, keine Telefone. Unsere sehr einfache Ausrüstung erregte jedes Mal großes Aufsehen. Die Menschen leben noch ganz in den alten feudalen Stammesstrukturen.

Wie verhielten sich die männlichen Laiendarsteller unter der Regie einer Frau?

Die Männer in meinem Film stammen alle aus dieser Gegend. Sie vertreten genau die patriarchalen Ansichten, die ich in meinem Drehbuch vorgesehen hatte. Da gibt es keinen Unterschied zwischen meinem Entwurf und der dortigen Wirklichkeit.

Die Kamera zeigt immer wieder bestimmte Gegenstände in Großaufnahme, einen Apfel, eine Flöte, ein Stück Brot.

All diese Symbole haben für die Menschen in dieser Kultur eine wichtige Bedeutung. Ein roter Apfel etwa steht für Freundschaft. Ich wollte in diesem Film mit meinen eigenen inneren Bildern arbeiten, anstatt die Filmsprache anderer nachzuahmen.

Wenn Sie Präsidentin des Landes wären: Wo würden Sie ansetzen, damit sich die Verhältnisse zum Besseren entwickeln?

Der erste Schritt muss sein, dass die Regierung Recht und Gesetz im ganzen Land durchsetzt und nicht nur in den großen Städten. Solange Karsai keinerlei Einfluss in diesem Gebiet hat, kann er auch nichts ausrichten. Dann ist ganz wichtig, dass es überall genügend Zugang zu Trinkwasser gibt. Wasser ist das Grundelement des Lebens. Dann muss es natürlich auch Arbeit und einen Arbeitsmarkt geben. Solange es all das nicht gibt, haben die Menschen keine Alternative zum Drogenanbau. Oder sie werden von den Taliban angeworben und zu Kämpfern und Selbstmordattentätern ausgebildet. Das geschieht vor allem mit den jungen Leuten.

War „Three Dots“ in Afghanistan zu sehen?

Anfangs nicht, aber mittlerweile hat ihn das Fernsehen ausgestrahlt. Auch die Mitglieder der Regierung haben ihn gesehen sowie das Büro zur Bekämpfung des Drogenanbaus. Präsident Karsai hat sich bei uns dafür bedankt, dass wir diesen Film gemacht haben und all die Probleme darin angesprochen haben. Er hat das Team sogar eingeladen; ich selbst konnte aber nicht zu diesem Treffen gehen, weil ich eine wichtige Prüfung hatte.

Wie sieht Ihr nächstes Filmprojekt aus?

Es wird um eine Frau gehen und ihr Verhältnis zu Staat und Gesetz und welche Konflikte diese Frau austragen muss. Ich habe bereits ein fertiges Drehbuch, bin aber noch auf der Suche nach einer Produktionsfirma. Da ich meinen ersten Film selbst finanzieren musste, hatten wir nur unzureichende technische Mittel. Heute bin ich in meinem technischen Know-how weiter als damals. Ich möchte als Nächstes einen Film machen, der auf dem internationalen Markt akzeptiert wird.

„Splice In – Filme aus Afghanistan“, ab 22. 11. im Kino Arsenal. Heute, 19 Uhr, Eröffnung in Anwesenheit der afghanischen Botschafterin und Filmemacherin Maliha Zulfacar. Am Freitag ab 19.30 Uhr läuft in Anwesenheit von Roya Sadat u. a. ihr Film „Three Dots“