Der aufgeschnittene Bauch der Tragödie

Lässt sich von Rache und Krieg auf dem Theater nur noch als Farce erzählen? Damit begnügt sich jedenfalls Dimiter Gotscheff: Er inszeniert Heiner Müllers Shakespeare-Kommentar „Anatomie Titus Fall of Rome“ am Deutschen Theater

Vielleicht hätte es als Kasperletheater funktioniert. Ein kleines Guck-Rechteck, in dem man keine großen Deutungen erwartet. Da reicht es, wenn Kasperl dem Gendarmen eins überbrät. Doch dafür sind drei Stunden am Deutschen Theater zu lang und die leere Bühne vorm schwarzen Rundhorizont zu groß. Zu sehen ist Heiner Müllers wuchtiger Shakespearekommentar „Anatomie Titus Fall of Rome“ von 1985.

In der elisabethanischen Vorlage kehrt der römische Feldherr Titus Andronicus aus der Schlacht mit den Barbaren heim, lässt einen kriegsgefangenen Gotenprinzen opfern und beschwört damit die Rache der Gotenkönigin Tamora und ihres „Neger“-Geliebten Aaron herauf. Müller durchsetzt Shakespeares „blutgetränkten Text“ mit metaphernschweren Kommentarblöcken. Der Kampf zwischen Römern und Goten wird zu einem zwischen Erster und Dritter Welt.

Dieses Stück Müllers wird eher selten auf die Bühne gehievt. Umso verdienstvoller, wenn sich Dimiter Gotscheff, der am DT neulich die „Hamletmaschine“ klug in Szene setzte, nun dem Stoff zuwendet. Umso bedauerlicher, dass er mit seinem Leib-und-Magen-Dichter diesmal wenig anzufangen weiß.

Dabei fängt alles ganz gut an. Die acht Darsteller (meist doppelt besetzt) stehen eng gruppiert im Gegenlicht und sprechen den Eingangskommentar im Chor, erzählen vom Machtkampf in Rom. Zwischendurch wundern sich die Schauspieler kollektiv über den komplizierten Blankvers. Ein Wundern, das sich im Verlauf allerdings immer mehr zu einer bloßen Verwitzelung auswächst.

Schon Müller wusste ob der Mechanik der seriellen Tötungen: „Im Bauch der Tragödie lauert die Farce.“ Gotscheff begnügt sich als Regie-Anatom allerdings damit, den Tragödienbauch aufzuschneiden und die Farce herauszuholen. Den Rest näht er unbesehen wieder zu. Er lässt seine hoch gelobten Schauspieler, allen voran Samuel Finzi als Aaron und Wolfram Koch als Titus, aus Herzenslust herumkaspern. Der Text dient als Steilvorlage für Pathos-Parodie, für die Veralberung männlicher Kampfgesten.

Dass die Rache aber ein Impuls ist, der die Welt (noch immer) bewegt, bleibt derweil ein sehr realer Schrecken, der sich nicht so einfach totlachen lässt. Wo bei Shakespeare aber Blutrunst herrscht, wird bei Gotscheff alles nur angedeutet. Ein Kopf wird in den Nacken gerissen, ein schriller Kreisch aus dem Off, und fertig ist der Tote. Hände werden unter die Achseln gesteckt, und schon haben wir den Armstumpf – Zeichen statt Psychologie.

Finzi wirft gewohnt lässig den intrigenstiftenden „Neger“ hin, der den andern zur Vorurteilsbestätigung auch mal den Affen anspielt. Stefan Konarske und Mirko Kreibich geben als Gotenprinzen die schlenkernden, blödgrinsenden Puppen. Margit Bendokat (Kaiser und Amme) lässt ihre Stimme bewährt schnarren. Und Almut Zilcher sieht im schwarzen Reithosenkostüm mit Glitzerschmuck vor allem toll aus. Dazwischen steht Jule Böwe als geschändete Lavinia, x-beinig und wimmernd. Koch wiederum spielt den Wahnsinn des Feldherrn mit einem Furor, der auch ernst macht. Ist es Konzept, dass die Spielweisen durcheinandergehen? Beim Kasperletheater bräuchte es kein Konzept. Großes Theater allerdings sieht anders aus. ANNE PETER

Wieder am Deutschen Theater am 27. 11., 6./8./12./19. und 22. 12.