17 Jahre im Gefängnis

„Close up Kurdistan“, ein Dokumentarfilm von Yüksel Yavuz, handelt von der Unterdrückung der Kurden

Dokumentarfilme über Krisengebiete sind schwierig. Die Unmenge der Informationen, die durch überzeugende Protagonisten in ungefährer Spielfilmlänge vermittelt werden müssen, schränkt die gestalterischen Möglichkeiten ein. Die Natur des Konflikts verbietet es meist, sich ganz auf eine Seite zu stellen.

Der in Hamburg lebende Yüksel Yavuz gilt hierzulande als einer der profiliertesten Regisseure mit Migrationshintergrund. In seinen vorangegangenen Dokumentar- und Spielfilmen – „Mein Vater, der Gastarbeiter“ (1995), „Aprilkinder“ (1998) und „Kleine Freiheit“ – hatte Yavuz versucht zu zeigen, „wie die alte Heimat sich in der neuen Heimat reflektiert“. Für „Close up Kurdistan“ ist er zurück in die alte Heimat gegangen.

Anfangs sieht man ihn im Heimatdorf zusammen mit seiner Mutter in alten Fotoalben blättern. Sie rätseln, wer dies oder das gewesen sein könnte. Jugendfotos führen in den „schmutzigen Krieg“ zwischen Staat und PKK, der von 1984 bis 1999 andauerte und dem nach inoffiziellen Zahlen 100.000 vor allem junge Menschen zum Opfer fielen. Fünf Millionen wurden bis heute aus ihren Heimatorten vertrieben.

Wie die meisten anderen kurdischen Kinder musste auch der 1964 geborene Yüksel Yavuz, der bis 1980 in der Türkei lebte, auf ein türkisches Internat. Neun Monate im Jahr wurde dort versucht, den Schülern das Kurdische, das als minderwertiger Dialekt der türkischen Sprache galt, auszutreiben.

Nachbarn und Freunde seiner Familie erzählen vom Krieg. Jeder kennt jemanden, der umgebracht oder zwangsumgesiedelt wurde. Manche berichten von Denunziationen. Zwischen den Gesprächen sieht man Bilder von Kindern beim Morgenappell oder Bilder von kurdischen Nomaden.

Die Protagonisten des Films sind gut gewählt und teils charismatisch. Dr. Ismal Besikci, ein in Ankara lebender, sanfter, kluger Wissenschaftler, der sich seit den 60er-Jahren mit dem Kurdenthema beschäftigt und viele Bücher darüber geschrieben hat, saß wegen seiner Veröffentlichungen insgesamt 17 Jahre im Gefängnis. Bis vor einigen Jahren war es in der Türkei noch verboten, sich als Kurde zu bezeichnen oder Kurdisch zu sprechen.

Der Lehrer Orhan Miroglu, der an einem Gymnasium in Diyarbakir arbeitete, wurde ein Jahr nach dem Militärputsch 1980 verhaftet und saß sechs Jahre im Gefängnis. Bei einem Attentat durch die im Geheimen operierende Terrorabwehr „Jitem“ (deren Existenz die Türkei immer noch bestreitet) auf den kurdischen Schriftsteller Musa Anter wurde er schwer verletzt. Er schrieb ein Buch über dies Attentat und seine Erfahrungen im Gefängnis.

Als weitere Gesprächspartner tauchen an unterschiedlichen Orten auf: Exsoldaten, Flüchtlinge, ein Ex-Kontra-Guerillero, der zunächst als Soldat zur PKK wechselte, gefasst wurde und nach seiner Haftentlassung für die Terrorabwehr tätig war, und Uli Cekdar, einer der über 20 Deutschen, die auf Seiten der PKK gekämpft hatten. Am Kreuzberger Landwehrkanal erzählt der von den alten NVA-Waffen, die die Bundesrepublik an die Türkei übergeben hatte und mit denen die PKK bekämpft wurde. Er sagt auch, dass „Mein Kampf“ das am fünfthäufigsten gelesene Buch in der Türkei sei.

Gespräche und Footagematerial aus den Erziehungsanstalten, der Armee und vom Krieg wechseln einander ab. So unglaublich schön dazwischen der Blick in die kurdische Landschaft ist, die Ruhepausen zwischen den Worten sind nur kurz, zu kurz. Manchmal verwechselt man die Protagonisten und kommt durcheinander.

Ein paar Sätze bleiben zurück: „Wenn wir das Frühstück sind, werdet ihr das Mittagessen sein“, hätten damals, 1915, die Armenier zu den Kurden gesagt, die sich teils auf der Seite der Türken an den Pogromen beteiligte. Jemand sagt, einige kurdische Mitgefangene hätten sich dann geopfert, „um den Geist des Widerstands zu entzünden“. – „Sie haben sich verbrannt?“ – „Ja.“

DETLEF KUHLBRODT

„Close up Kurdistan“, Regie: Yüksel Yavuz. Dokumentarfilm, Deutschland 2007. 104 Min., läuft im Filmtheater Hackesche Höfe und im Eiszeit-Kino