Gleitende Gedanken

„George Washington“, Debüt von David Gordon Green und Höhepunkt der American-Independent-Filmreihe

„Ich bin ein Held“, erzählt der 13 Jahre alte George, „weil ich Menschenleben retten möchte.“ Seine Freundin Nasia möchte George einmal als US-Präsidenten die Parade zum Nationalfeiertag anführen sehen. „Er will einfach Großes erreichen.“

Solche und ähnliche Dinge sagen die Kids in David Gordon Greens phänomenalem Debüt „George Washington“ (2000). Dabei kriechen sie in Häuserruinen herum und balgen sich am Rande der städtischen Müllkippe. Was Dreizehnjährige in ihrer Freizeit eben so tun, wenn sie im verarmten, ländlichen North Carolina aufwachsen. Was sie vom Leben zu erwarten haben, wissen sie nicht, aber eine schwermütige Skepsis liegt bereits über ihren Gesprächen, die jederzeit vom Banalen ins Nachdenkliche kippen können. Ihre Sätze bilden sie vorsichtig, als könnte die grobe Alltagssprache ihren feinen Gedankengängen Schaden zufügen. Heraus kamen einfache, klare Beobachtungen. „Die Erwachsenen in meiner Stadt“, erzählt Nasia aus dem Off, „waren niemals Kinder so wie ich und meine Freunde. Sie mussten in Kriegen arbeiten und Maschinen bauen. Es kostete sie große Mühen, ihren Frieden zu finden.“ Wie dieser Frieden aussehen könnte, schildern Green und sein Kameraregisseur Tim Orr in langen, ruhigen Cinemascope-Einstellungen.

Weiche Schädeldecke

„George Washington“ erzählt aus dem Alltag einer Gruppe Jugendlicher: dem kindlichen Buddy, der frühreifen Nasia, dem Riesenbaby Vernon, dem introvertierten George, der aufgrund seiner weichen Schädeldecke mit einem Football-Helm herumlaufen muss, und der zwölfjährigen Autoknackerin Sonja, der einzigen Weißen in der Clique. Aber ethnische Zuordnungen spielen keine Rolle in einer Welt, in der Schwarze und Weiße gleichermaßen unterprivilegierte Leben führen. Die Eltern bleiben in „George Washington“ sowieso außen vor, auch wenn Green die brütende Grundstimmung manchmal durch absurd-komische Kontaktversuche mit der Erwachsenenwelt aufbricht. Die Kinder sind die meiste Zeit unter sich, eine verschworene Bande.

Dieses Bündnis muss sich bewähren, als sich Buddy beim Spielen eine tödliche Kopfverletzung zuzieht. Vernon, George und Sonja verstecken die Leiche, doch ihre Tat lässt sie nicht mehr los. Jedes der Kinder versucht auf seine Weise, mit dem Schuldgefühl fertigzuwerden. Als George am Swimmingpool einen Jungen vor dem Ertrinken rettet, sieht er seine Chance gekommen. Er wird zum Superhelden, mit Sturzhelm und Cape.

Traumähnlicher Zustand

„George Washington“ ist kein typischer Coming-of-age-Film, wie ihn das US-amerikanische Indie-Kino seit den späten Neunzigerjahren so oft hervorgebracht hat. Und auch mit den White-Trash-Szenarien eines Harmony Korine hat der Film wenig gemein, auch wenn ihn der dokumentarische Naturalismus in die Nähe von Korines Kumpel Larry Clarke stellt. Green ist mit seinem Debüt gelungen, wonach jeder Filmemacher bei der Arbeit mit jugendlichen Laiendarstellern strebt: Ernsthaftigkeit, Leichtigkeit und die flirrende Grenze zwischen nüchternem Alltag und magischer Überhöhung für einen kurzen, wahrhaftigen Moment aufzulösen. Mit seinen fast unmerklich verlangsamten Einstellungen erzeugt er immer wieder einen traumähnlichen Zustand von Schwerelosigkeit, in dem, verstärkt von Nasias ätherischer Off-Stimme und dem Drone-artigen Soundtrack von Michael Linnen und David Wingo, die Erfahrungen, Gefühle und Gedanken der Figuren dahingleiten.

„George Washington“ ragt wie ein Solitär aus dem Gros der Filme heraus, die in den vergangenen Jahren das reichlich eng bemessene Territorium des US-amerikanischen Independentkinos abgesteckt haben. Das macht ihn zu einem Höhepunkt der im Arsenal laufenden „American Independents“-Reihe. ANDREAS BUSCHE

„George Washington“, Regie: David Gordon Green. USA 2000, 89 Min. 13. und 21. 12. im Arsenal-Kino