Zwischen Marx und Engeln

WEIHNACHTSBESETZER Tampons am Weihnachtsbaum, Oma und Opa auf Matratzen im Hörsaal. Einige Berliner Studierende verbringen Heiligabend im Audimax

„Seit gestern haben wir keine Heizung mehr, das ist das Schlimmste“, sagt Ina Blank, als sie eine Kelle Teig ins Waffeleisen gießt. Die 28-jährige Ethnologie-Studentin feiert mit ihren Eltern und zwölf anderen Studierenden Weihnachten im Audimax. Neben einem vegetarischen Festessen gibt es Schrottwichteln, Filmabende und eine Old-School-Punk-Party. „Wir sind aber natürlich immer noch im Streik“, erklärt Ina.

Deswegen gehört auch inhaltliche Arbeit mit Workshops und Diskussionen zum Programm. Inas Mutter backt indessen russische Spezialitäten, der Vater hat Gitarren mitgebracht, um mit den Studierenden eine Jam-Session zu veranstalten. „Ich finde Weihnachten sonst immer total langweilig. Dieses Jahr gefällt es mir richtig gut“, sagt er. Statt bunten Lichterketten blinken diesmal rote Sterne von schwarzen Demoplakaten. Die Kulisse wirkt wie eine Mischung aus Konferenz und Flüchtlingsheim: Neben dem Rednerpult im Hörsaal steht der Weihnachtsbaum in einer Bierkiste, zwischen Isomatten und Pappschachteln mit Flyern liegen Teller mit Plätzchen. Auf einer tragbaren Heizplatte kocht jemand Glühwein.

Seit dem 11. November ist das Audimax der Berliner Humboldt-Universität besetzt. War die Stimmung des Streiks anfangs euphorisch, so fahren nun in den Weihnachtsferien viele Studierende nach Hause. In den besetzten Hörsälen ist besinnliche Ruhe eingekehrt. Dass Ina im Audimax fröstelt, liegt an den eiskalten Weihnachtsgrüßen der Unileitung: Für die Ferien wurde die Heizung abgeschaltet.

Auch an der Freien Universität geht der Streik weiter. „Normalerweise fahre ich über die Feiertage nach Hause. Dieses Jahr ist die Besetzung wichtiger“, sagt Milka, die an der FU Ägyptologie studiert. Die 22-Jährige bekommt Besuch von ihren Verwandten aus dem Erzgebirge: „Meine Oma findet das alles ein bisschen komisch, aber sie unterstützt mich gerne. Deswegen hat sie gesagt: Wenn du nicht zu uns kommst, dann kommen wir eben zu dir!“

Bis zuletzt hatten die Besetzer Angst, vom Präsidium der FU aus dem Hörsaal vertrieben zu werden. Doch schließlich durften sie bleiben. Die Stimmung unter den 15 Weihnachtsbesetzern ist entspannt, fast familiär. „Die Vorbereitungen für Heiligabend laufen auf Hochtouren und wir freuen uns auf das Fest“, sagt Milka. Auch für das Weihnachtsessen ist schon gesorgt – an Heiligabend gibt es sizilianische Pasta, am ersten Feiertag Klöße mit Tofu, Rotkohl und Soße. Stolz fügt sie hinzu: „Wir haben auch schon ganz viel gebastelt“, und zeigt auf den großen Weihnachtsbaum, an dem Engel aus Tampons und Flyer mit Marx und Engels hängen. „Beim Schmücken mussten wir eben nehmen, was da war“, erklärt Milka lachend.

In den Berliner Unis verschmelzen studentische Protestkultur und bürgerliche Weihnachtsfeier. Ina und ihre Familie sitzen unter dem mit Kronkorken geschmückten Weihnachtsbaum im Audimax und hoffen, dass es an Heiligabend keine böse Überraschung gibt. „Wenn die Polizei kommt, müssen wir gewaltfrei bleiben“, sagt Inas Mutter. „Von alleine gehen wir nicht. Da müssen sie uns schon an Händen und Füßen heraustragen.“

MARGARETE STOKOWSKI
SEBASTIAN KEMPKENS