Eule ohne Flügel

Ist der Filmvorspann eine eigene Filmgattung? Welcher Dramaturgie folgt er? Und wie wichtig ist er für den Film? Die Kunst-Werke würdigen in einer Ausstellung 50 exemplarische filmische Prologe

Der Vorspann, das Vorfeld der Erzählung, war im Film immer ein prekärer Ort

VON EKKEHARD KNÖRER

Mit dem Vorspann, so scheint es, geht’s im Hollywoodfilm gerade zu Ende. Wo einst, als Vorfilm im Film, minutenlang der Zuschauer noch auf der Schwelle zwischen Informationen (zu Machern und Darstellern) und richtigem Beginn der Erzählung verharren durfte, wird er heute oft mit dem Titel allein abgespeist. Die Illusionsmaschine läuft schneller an, die wichtigen Daten zum Film gibt es nun häufig genug erst am Ende.

Die Eule der Minerva hat ihren Flug in Sachen Vorspann darum längst begonnen, ein Sammelband, der den theoretischen Stand der Dinge zum Thema auf den Punkt brachte, erschien vor zwei Jahren.

Zwei der Herausgeber des Buches, Alexander Böhnke und Rembert Hüser, Filmwissenschaftler beide, hatten damals in den Berliner Kunst-Werken im obersten Stockwerk bereits eine Vorspannausstellung gemacht, im entspannten Format. Man saß oder lag auf Betten vor Fernsehern und konnte zwölf unter Oberbegriffen gesammelte Vorspann-Folgen betrachten. Nun aber dasselbe noch einmal von Seiten der Kunst, Déjà-vu und Dacapo im ganzen Haus, alle Säle jetzt ganz dem Vorspann gewidmet.

Originell ist die Auswahl kaum, von den Klassikern der Großmeister Saul Bass („Vertigo“), Maurice Binder („Barbarella“), Pablo Ferro („Bullitt“) bis zu Kyle Cooper („Se7en“) sind die Standardnamen alle vertreten, ein paar interessante Exoten gibt es auch, etwa Christoph Schlingensiefs und Norbert Schliewes ins völlig Unleserliche verschwommene Titelsequenz zu Schlingensiefs Frühwerk „Tunguska“. Zur Film-Kunst des Vorspanns hat die Ausstellung buchstäblich gar nichts zu sagen.

Was es zum Thema zu wissen gibt, verlagert sie ganz auf den – noch nicht erschienenen – Katalog. Spannend ist sehr viel eher die an die Ausstellung selbst zu richtende Frage, was die Kunst tut, wenn sie sich des Kinos, wie hier, bemächtigt. Ob sie auf Abgrenzung setzt, auf Analyse, ob sie Einflussangst zeigt oder Aneignungslust, ob sie Formate der Kunst findet, das Kino in anderem oder neuem Licht zu zeigen, also ob sie etwa die andere Kunst ans Tageslicht ihrer White Cubes zerrt oder die Dunkelheit des Kinosaals nachinstalliert.

Die letzte Frage lässt sich sehr einfach beantworten: Im „Vorspannkino“ macht die Kunst ganz auf Kino. Auf allen vier Stockwerken ist es dunkel. Der große Raum unten versucht sich sogar an der vollständigen Mimikry an den Kinosaal. Es gibt Stuhlreihen auf der Empore, eine große Leinwand, auf der nahtlos Vorspann an Vorspann gereiht und als Loop projiziert wird. Natürlich, hier wie durchweg, digital. Film ist der Kunst also Videobild. Und der Vorspann, der im Kino seine genau zu benennende Stelle hat, wird eigenmächtig umgedeutet: zur Attraktion. Immer war er im Film ein prekärer Ort, Vorfeld der Erzählung, die Stelle, an der Schrift und Bild, Studio und Regie um die Vorherrschaft fochten. Hier aber, in dieser Ausstellung, sind diese Kämpfe rein kulinarisch befriedet. Man bedient sich beim Film, macht die Schnitte nach Möglichkeit unsichtbar und genießt, wie in den Radio-Klassiksendern Musik, den filetierten Film als Sammlung schöner Stellen.

In den Räumen weiter oben projizieren Beamer auf weiße Wände im Wechsel reihum. Oder auf im Raum hängende Tafeln, seltsam schwerelos. Dass man das gern sieht, versteht sich von selbst. Sind so tolle Vorspänne! Ein Konzept zur Auswahl, zum Verhältnis von Film und Kunst, zur Geschichte, zur Typologie des Vorspanns gibt es im engeren Sinn nicht. An die Stelle eines historischen oder theoretischen Bewusstseins tritt also die rhetorische Kunst schöner Präsentation. Diese Eule der Minerva fliegt nicht mehr. Sie hängt, schön anzusehen auf den ersten Blick, ausgestopft an der Wand.

Bis 19. April, „Vorspannkino“, Kunst-Werke, Auguststr. 61, Di.–So. 12–19 Uhr