Leihfrist verlängert

Die vom Bezirk geschlossene Bibliothek in der Esmarchstraße in Prenzlauer Berg soll Anfang April wiedereröffnet werden. Betrieben wird sie dann von einem Verein, den Anwohner gegründet haben

VON JULIANE SCHUMACHER

Am Eingang des roten Backsteingebäudes hängen noch die Schilder der städtischen Bibliotheken, im weiten Flur die Öffnungszeiten. Dass die schon Geschichte sind, verrät nur der unscheinbare Zettel daneben: Die Kurt-Tucholsky-Bibliothek wird zum 31. Dezember 2007 geschlossen, steht da. Und, weiter unten: Der Verein Pro Kiez arbeitet an einer Nachnutzung.

Es sieht ganz so aus, als habe er damit Erfolg. Nachdem im November vergangenen Jahres feststand, dass der Bezirk die Stadtteilbibliothek in der Esmarchstraße in Prenzlauer Berg schließen würde, entstand aus einer Bürgerversammlung die Bürgerinitiative Pro Kiez Bötzowviertel, die sich für den Erhalt der Bibliothek einsetzt. Am 30. November besetzten Mitglieder der Initiative die Bibliothek (taz berichtete).

Der Protest zeigte Wirkung: Im Januar gründete die Initiative einen Verein, dieser soll ab 1. April den Betrieb der Stadtteilbibliothek wieder aufnehmen. Ehrenamtlich. Damit wäre die Bücherei die vierte in Berlin, die von Freiwilligen weiterbetrieben wird. Ehrenamtlich betriebene Bibliotheken gibt es bereits in Schöneberg, Wilhelmsruh und Buchholz.

Die Modelle unterscheiden sich vor allem in der Frage, wer der Träger ist: In Wilhelmsruh und Buchholz fungieren von Bürgern gegründete Vereine als freie Träger und sind selbst im Besitz des Medienbestandes. In Schöneberg ist die Bibliothek weiter in öffentlicher Hand, wird jedoch von einem Verein betrieben. Dieses Modell ist auch für die Bibliothek in der Esmarchstraße vorgesehen. Der Kulturausschuss des Bezirks Pankow unterstützt das Konzept des Vereines; am 12. März soll es die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) beschließen.

Bis dahin ist die Bibliothek weiter „kulturbesetzt“. Nicht die Bibliothek selbst, sondern nur der Veranstaltungsraum im Erdgeschoss. „Wir wollten kein Risiko eingehen“, sagt Peter Venus, Sprecher der Initiative und stellvertretender Vorsitzender des Vereins. „In besetzten Räumen gehen so viele Leute ein und aus, da kann man nicht garantieren, dass etwas beschädigt oder mitgenommen wird.“

Venus, früher Journalist, lebt seit mehr als 20 Jahren im Bezirk. Vor allem Menschen mit „akademischen Berufen“ seien an der Bürgerinitiative beteiligt; viele Künstler und Autoren, die hier leben, unterstützten das Projekt. „In Pankow wohnen viele Schriftsteller und Intellektuelle“, sagt Peter Venus, „das war ja schon zu Ostzeiten so.“

„Besetzer-Büro“ verkündet ein handgeschriebenes Blatt an der Tür zum Veranstaltungsraum. Drinnen geht es gesittet zu: sauber aufgereihte Klappstühle, ein Stuhlkreis von der letzten Sitzung, Zimmerpflanzen. An einer Stellwand hängen ausgeschnittene Zeitungsartikel, die Ankündigungen vergangener und kommender Veranstaltungen, Lesungen, Filmabend, nächste Woche gibt’s für Kinder ein Papiertheaterstück.Das Kulturprogramm soll weiterlaufen, wenn die Bibliothek am 1. April wiedereröffnet.

Die Öffnungszeiten werden vorerst allerdings eingeschränkt sein, auch der Bestand an Medien wird geringer ausfallen als vor der Schließung. Etwa 30 Freiwillige haben sich bisher gemeldet, die bereit sind, eine Schicht in der Bibliothek zu übernehmen. Auch wenn künftig Ehrenamtliche hinter den Theken stehen werden, sollen die Bibliothek und ihr Bestand in öffentlicher Hand verbleiben, das ist Venus wichtig: „Für uns war von Anfang an klar: Wenn wir die Bibliothek besetzen, dann nur zu dem Zweck, sie zu erhalten“, sagt er. „Denn wenn die Bibliothek einmal weg ist, macht sie ganz sicher niemals wieder auf.“ Die Bürgerinitiative, sagt Venus, sei der festen Überzeugung, dass Bibliotheken zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehörten. Man hoffe, dass langfristig der Bezirk dort wieder Bibliothekare beschäftige.

Dazu aber müsse erst mal ein Umdenken im Senat stattfinden, so Venus. Schließlich sei es nicht Schuld des Bezirks Pankow, dass Ende 2007 zwei Bibliotheken geschlossen wurden. Das Problem sei vielmehr, dass es auf Kultur anders als auf andere Bereiche von öffentlichem Leben keinen Rechtsanspruch gebe, so Venus. Wenn der Senat den Bezirken die Mittel kürze, so könnten diese ja nur dort kürzen, wo sie dürfen, bei Musikschulen etwa und Bibliotheken. Die Besetzung und nun das Weiterführen der Bibliothek sollen laut Venus auch ein Zeichen sein, auf diese Problematik aufmerksam zu machen – und eine veränderte Vergabepraxis von Kulturmitteln in Berlin zu erreichen. „Dass da derzeit etwas schiefläuft, haben inzwischen auch die meisten Parteien auf Landesebene erkannt“, glaubt Venus.