brechmittelprozess: Freispruch mit Folgen

Seine mangelhafte Ausbildung hat den Pathologen Igor V. laut Landgericht vor der Verurteilung bewahrt. Arzthaftungs-Experte Benedikt Buchner sieht Chancen für Zivilverfahren: "Wenn jemand etwas nicht kann, dann darf er es auch nicht machen." VON CHRISTIAN JAKOB

Demo zur Urteilsverkündung. Strafrechtlich bleibt Laya Condés Tod ungesühnt Bild: CJA

Das am Donnerstag verkündete Urteil im Brechmittelfall sorgt für Irritationen. "Wenn ich mit dem Auto jemanden überfahre, bin ich dann nicht schuld, nur weil ich ein ungeübter Autofahrer bin?", kommentierten Zuhörer die Argumentation des Richters Bernd Asbrock. Der hatte den Polizeiarzt Igor V. vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung des Sierre-Leoners Laya Condé freigesprochen.

Zwar habe sich V. "zahlreiche Unsicherheiten, Versäumnisse und Fehler" zu schulden kommen lassen. Dadurch sei die Brechmittelvergabe tödlich verlaufen - was ein Arzt rechtzeitig hätte erkennen müssen. Doch der in Kasachstan ausgebildete Pathologe V. habe weder über klinische Erfahrung verfügt, noch sei er für zwangsweise Brechmittelvergabe qualifiziert gewesen, sagte Asbrock. Ihn treffe keine Schuld, weil er subjektiv nicht erkennen konnte, dass er objektive fachliche Fehler begangen habe, die Condé Leben kosteten.

An den institutionell dafür Verantwortlichen übte Asbrock harsche Kritik: "Es war ein genereller organisatorischer Mangel, dass ein Arzt auf dem Ausbildungsstand des Angeklagten diese Behandlung vorgenommen hat." Dieser "organisatorische Mangel" dürfte im Wesentlichen dem Leiter des rechtsmedizinischen Instituts der St.-Jürgen-Klinik, dem Pathologen Michael Birkholz, zuzurechnen sein. Birkholz war seinerzeit der Chef des "ärztlichen Beweissicherungsdienstes", für den V. den Brechmitteleinsatz durchführte. Birkholz' Auftritt im Prozess sei wenig hilfreich gewesen: "Herr Birkholz verstand sich eher als Berater des Angeklagten denn als Zeuge und verfolgte mit seiner Zeugenaussage sicherlich eigene Interessen", sagte Asbrock.

Für Benedikt Buchner, den Direktor des Instituts für Gesundheits- und Medizinrecht der Uni Bremen ist klar: "Wenn jemand etwas nicht kann, dann darf er es auch nicht machen." Solche Fällen seien ein "Übernahemeverschulden" - dass auch die Vorgesetzten betreffe. Wenn also Birkholz' Institut einen Mediziner ins Polizeipräsidium geschickt hätte, dessen mangelnde Qualifikation Ursache für Schäden an Leib und Leben eines Patienten gewesen wäre - "dann wären die zivilrechtlich auf jeden Fall beide dran." Strafrechtlich, so räumte Buchner ein, sei die Sache aber schwieriger: Die zur Fahrlässigkeit gehörende subjektive Schuldhaftigkeit sei im Einzelfall schwer nachzuweisen.

"Das sind Pathologen, die sind eigentlich für Leichen zuständig", sagte der grüne Fraktionsvorsitzende Matthias Güldner. "Für ärztliche Tätigkeiten am lebenden Menschen waren die nicht ausreichend ausgebildet." Es mache die Sache umso schlimmer, dass Birkholz' Beweissicherungsdienst seinerzeit auch die Gesundheitsversorgung im Abschiebegewahrsam übernommen hatte. Zum Glück, so Güldner, "sind die in diesem Bereich nicht mehr tätig".

Birkholz weist die Kritik zurück: "V. war topfit auf dem Gebiet." Er sei von einem Notarzt im Legen einer Sonde unterwiesen worden und habe "mit Abstand mehr Fortbildungsmaßnahmen gemacht", als von ihm verlangt worden sei. "Ich kann keine fachlichen Fehler erkennen", sagte Birkholz. Das Hinzurufen des Notarztes könnte man gar "als supervorsichtig bezeichnen". Das V. die Brechmittelvergabe so lange fortgesetzte, bis Condé ins Koma fiel, war "kein eigener Antrieb", sondern habe mit seiner "obrigkeitsstaatliche Sozialisation in Kasachstan" zu tun. "Der hat nur gemacht, was die Polizei gesagt hat, so war er es gewohnt."

Bei der Bremer Ärztekammer will man nun das schriftliche Urteil abwarten, bevor man über berufsrechtliche Schritte nachdenkt, sagte Kammer-Geschäftsführerin Heike Delbanco. Der FDP-Gesundheitspolitiker Oliver Möllenstädt kündigte an, seine Fraktion werde sich die Sache "nochmal ganz genau anschauen". Man müsse hinterfragen, "ob es es hier zu niedrige Standards bei der Personalrekrutierung gab und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind".

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