Protest gege Zeitabeit: Für einen Euro weniger

Der Personaldienstleister Runtime beschäftigt in Bremen Menschen zu niedrigen Ostlöhnen. Kritiker sprechen von "Sklavenarbeit" und demonstrieren dagegen.

Etwa 30 Aktivisten protestierten gestern bei Runtime Bild: Jan Zier

Frau M. ist Zeitarbeiterin. In Bremen. Genauer gesagt: Als Angestellte der Bremer Niederlassung des Personaldienstleisters Runtime. Wobei - genau da fängt das Problem schon an: Ihren Arbeitsvertrag mit dem hiesigen "Team Runtime" hat Frau M. formal mit einem Firmenteil abgeschlossen, der in Magdeburg ansässig ist. Und also lediglich niedrigere Ostlöhne zahlt. Zunächst sechs Euro pro Stunde - das ist der Tarif für eine "Hilfsarbeiterin ohne nähere Tätigkeitsangabe", zum 1. Juli 2009 aufgestockt auf 6,15 Euro. Im Westen müsste Frau M. heute laut Tarifvertrag zumindest 7,31 Euro pro Stunde bekommen. Macht einen Lohnunterschied von mindestens 160 Euro brutto pro Monat.

"Pro Stunde und Beschäftigtem wird also noch einmal ein Euro "Sonderprofit" kassiert", kritisiert Herbert Thomsen vom Bremer Erwerbslosen Verband (BEV). "Feist, gierig und trickreich" sei das Zeitarbeitsunternehmen, sagt Thomsen. In Bremen unterhalte Runtime "faktisch nichts anderes als eine Briefkastenfirma". Rein rechtlich sei daran kaum etwas auszusetzen, sagt Thomsen, auch gebe es dazu kaum Rechtssprechung. In der Regel würden Urteile vermieden: "Die erledigen das durch Zahlung". Runtime beschäftigt nach eigenen Angaben bundesweit über 5.000 Leute.

Gestern versammelten sich etwa 30 Aktivisten des BEV sowie des Mayday-Bündnisses vor und in einer Filiale auf der Martinistraße, um dort gegen die "Sklavenarbeit" bei Runtime zu protestieren. Eine Mitarbeiterin weist die Vorwürfe pauschal als "falsch" zurück, lässt sich aber auf keine Diskussion ein und verweist die DemonstrantInnen des Hauses. Als wenig später die Polizei eintrifft, ist die Kundgebung bereits aufgelöst. Anzeige wird nicht erstattet. Rainer Anthony, Chef von Runtime in Bremen, war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Offiziell darf Frau M. gar nicht über ihr Gehalt sprechen - mit ihrem Vertrag hat sie unterschrieben, darüber "Stillschweigen zu bewahren". Ein Verstoß ist mit einer Vertragsstrafe von einem Monatslohn belegt. Das sind, arbeitet man Vollzeit, etwa 950 Euro brutto, rechnet der BEV vor. Netto blieben davon dann etwa 750 Euro übrig.

Verhandelt hat diesen Tariflohn für Frau M. die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP). Und die ist - das hat das Landesarbeitsgericht Berlin am Montag entschieden - "nicht tariffähig". Wird das Urteil rechtskräftig, könnten bundesweit 280.000 LeiharbeitnehmerInnen rückwirkend einen Ausgleich für Löhne verlangen, die von der CGZP ausgehandelt wurden und unter den Branchenstandards liegen. In letzter Instanz entscheidet darüber das Bundesarbeitsgericht - das kann aber bis 2011 dauern.

Bundesweit waren nach Angaben des Bundesverbandes Zeitarbeit im Oktober rund 598.000 ZeitarbeitnehmerInnen beschäftigt, 81.000 mehr als noch im Mai. In Bremen sind es laut der Hans-Böckler-Stiftung überdurchschnittlich viele: Ihr Anteil an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt bei 3,52 Prozent, im Bundeschnitt sind es nur 2,5 Prozent.

Das Prinzip, im Westen nur den niedrigeren Ostlohn zu zahlen machen sich dabei auch andere zu nutze: So sind auch die Bremer VerkäuferInnen der neuen XL-Filialen des Drogerie-Discounters Schlecker bei der Meniar-Zeitarbeits GmbH in Zwickau angestellt.

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