Erst kürzen, dann denken

Auf der Betriebsversammlung räumt der Chef des Klinikums Mitte ein, man wisse noch nicht, wer die Arbeit des gestrichenen Personals übernehmen soll. Betriebsrat stimmt für Sanierungskonzept

Von Eiken Bruhn

„Radikale Ehrlichkeit“ forderte gestern der Staatsrat für Gesundheit, Hermann Schulte-Sassen auf der Betriebsversammlung im Klinikum Mitte vor 250 Krankenhausangestellten, überwiegend Frauen, überwiegend aus dem Pflegebereich. Die Botschaft kam auch bei deren Chef an, dem Geschäftsführer des größten Bremer Krankenhauses mit dem großen Finanzproblem. „Ja, Sie haben recht“, sagte also ganz ehrlich Jürgen Finsterbusch seinen Kritikerinnen, die ihm vorgeworfen hatten, erst Personal zu streichen und sich dann zu überlegen, wer dessen Arbeit übernehmen soll.

Wie berichtet sollen in diesem Jahr rund zehn Prozent der Stellen gestrichen werden – wie das gehen kann, ohne dass die Patienten darunter leiden, konnte Finsterbusch gestern nicht sagen. Mit höhnischem Gelächter quittierten die Versammelten den Wunsch des Staatsrates, niemals würde in Bremen die Meinung vorherrschen „Geh bloß nicht in die städtischen Kliniken“. Soweit sei es längst, glauben viele Mitarbeiter.

Besonders wütend sind die Pfleger und Ärzte der Kinderchirurgie. Diese soll eine von drei Stationen und damit ein Drittel des Personals verlieren. „Dann werden wir wieder wie in den 50er Jahren die Kinder am Bett fixieren müssen“, sagte eine Pflegekraft, die seit 20 Jahren in der Kinderklinik arbeitet. Bereits jetzt könne dies oft nur vermieden werden, weil Eltern als Pflegekräfte mit eingeplant würden, die also verhinderten, dass Kinder an Wunden oder Kathetern reißen und beim Füttern helfen würden. Weil die Zahl der Kinder gleich bleibe, müssten in Zukunft zwei Krankenpflegerinnen 19 Kinder gleichzeitig versorgen – „keine Ahnung, wie das gehen soll“. Zeit, sich um die vielen eingelieferten verwahrlosten Kinder zu kümmern oder einem Verdacht auf Missbrauch oder Misshandlung nachzugehen, bleibe dann nicht mehr.

Aus Protest gegen die Pläne kündigte gestern die leitende Oberärztin der Kinderchirurgie, Heidrun Gitter, an, ihre Stelle zu halbieren. Lang anhaltenden Applaus bekam Gitter – die zweite Vorsitzende der Bremer Ärztekammer – , als sie sagte, sie weigere sich, in Zukunft der Bevölkerung die Sparpolitik zu erklären. Keine Freunde in den anderen beiden städtischen Kinderkliniken in Bremen-Nord und Links der Weser wird sich ein Kollege der Kinderchirurgin gemacht haben, als er dem Staatsrat nahe legte, die Kindermedizin in Mitte zu konzentrieren. „Wozu brauchen wir denn drei Kinderkliniken?“ Damit legte er den Finger in eine der Wunden: Der Stellenabbau an allen vier Bremer Kliniken – insgesamt 940 Plätze – ergibt nur dann einen Sinn, wenn diese Behandlungsbereiche aneinander abgeben.

Interessant – vor allem in Bezug auf die „radikale Ehrlichkeit“ – war gestern auch das Verhalten des Betriebsrates. „So wie jetzt geht es nicht weiter“, sagte dessen Vorsitzender Thomas Hollnagel an die Adresse der Geschäftsführung. Noch am Abend zuvor hatte er im Aufsichtsrat der Krankenhaus-Dachgesellschaft „Gesundheit Nord“ dem Sanierungskonzept zugestimmt.