„Wir brauchen mehr Personal“

Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter erklärt, warum sich der Fall der verwahrlosten Mädchen in Gröpelingen nicht zur Empörung eignet. Am Dienstag muss sie das vor den Abgeordneten tun

Interview: Eiken Bruhn

taz: Frau Rosenkötter, haben Sie das öffentliche Interesse an einem Fall wie dem der verwahrlosten Mädchen unterschätzt?

Ingelore Rosenkötter, Sozialsenatorin (SPD): Wir haben uns sofort nach Bekanntwerden hier im Haus zusammengesetzt und sind zu der Einschätzung gekommen, das ist ein „Fall“, wie wir ihn jede Woche in ähnlicher Art erleben könnten, der einer sachlichen und keiner politischen Aufarbeitung bedarf. Ich glaube, dass viele Bürger und Bürgerinnen das genauso sehen.

Aber offensichtlich nicht alle, Sie wurden von Medien und Politikern scharf angegriffen.

Es ärgert mich, wie diese Geschichte parteitaktisch genutzt wurde, um eine Riesenblase aufzubauen – das tut dieser Familie nicht gut. Die Kinder bekommen die öffentliche Aufmerksamkeit ja mit, und das geht nicht spurlos an ihnen vorüber.

Es hat sich nicht nur die Opposition ereifert, sondern auch der grüne Koalitionspartner.

Ja, aber man muss hier Qualitätsunterschiede in der Haltung sehen. Klaus Möhle (stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, d. Red.) hat gesagt, er wolle eine Sachaufklärung, das finde ich vollkommen in Ordnung. CDU und FDP haben es mit einer Personalfrage verknüpft, das ist nicht angemessen.

Viele fragen sich, warum Sie nicht selbst vor die Presse getreten sind – dort hätten Sie auch den Vergleich mit Kevin zurückweisen können.

Im Nachhinein ist man immer schlauer. Vielleicht hätte ich das tatsächlich machen sollen, ja. An dem Tag war unser Interesse, das Ganze sachlich zu halten.

Was schon dadurch schwierig war, dass die Polizei eine Pressemitteilung verschickt hat, ohne Sie zu informieren.

Darüber sind wir im Gespräch, die Kommunikationsabläufe müssen besser werden.

Was hatte sich an der Situation der Kinder seit dem letzten Kontakt mit dem Amt verändert – außer, dass die Polizei die Wohnung gesehen hat und das öffentlich gemacht hat?

Zunächst einmal muss man festhalten, dass es gut ist, wenn aufmerksame Menschen wie in diesem Fall die Polizisten genauer hingucken und dann auch handeln. Dieses Füreinander-Dasein brauchen wir in dieser Gesellschaft. Und aus unserer Sicht mag die Wohnung zwar nicht so ausgesehen haben, wie wir uns das vorstellen, die Kinder waren oft „schmuddelig“, aber das hat dem Familiengericht nicht als Anlass gereicht, sie von ihren Eltern zu trennen. Es gab zudem seit Februar 2008 bis zum letzten Schultag keine Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung.

Und warum mussten sie dann plötzlich doch ins Heim?

Die Lage in der Familie muss plötzlich umgekippt sein, eine andere Möglichkeit gab es danach nicht mehr.

Aber warum hat nicht, wie Möhle fragt, jede Woche ein Sozialarbeiter nach dem Rechten gesehen – und zwar auch in den Ferien?

Wenn uns eine Familie wie diese nicht in die Wohnung lässt, dann haben wir keine Handhabe – das passiert übrigens oft genug in „Fällen“, wo es den Kindern dem äußeren Anschein nach gut geht. Außerdem ist damit wieder die Frage nach der Grenze staatlichen Einmischens berührt. Wir hatten allerdings mit der Kita und der Schule vereinbart, dass wir bei Auffälligkeiten sofort einen Hinweis bekommen.

Haben Sie überhaupt genug Leute, die so etwas machen könnten? Der Leiter des Jugendamtes sagt, „wir brauchen mehr Stellen“.

Wenn die Fallzahlen nicht wie bundesweit angenommen nach einer ersten Welle wieder zurückgehen – und danach sieht es momentan nicht aus – dann brauchen wir eine dauerhafte Entlastung der Mitarbeiter vor Ort. Wir sind darüber im Senat im Gespräch, und ich gehe davon aus, dass wir Ergebnisse nach der Sommerpause haben werden.

Es gibt Leute, die sagen, die Maßstäbe haben sich verschoben. Das, was wir früher als untragbar empfunden hätten, sei heute schon normal.

Das sehe ich auch so und deshalb müssen wir an die Ursachen ran. Solche Situationen, in denen Familien Unterstützung brauchen, können entstehen, wenn Arbeit fehlt, wenn Alleinerziehende überfordert sind, aber auch aus vielen anderen Gründen.