samstag in bremen
: Wer darf wem die Hand abhacken?

Im Theater wird über Menschenrechte diskutiert

taz: Herr Kilinč, Sie vertreten über die Hälfte der – geschätzt – fast 40.000 Bremer Muslime. Welche Erfahrungen machen Sie in Bezug auf das hiesige Islambild?

Mehmet Kilinč, Vorsitzender der Islamischen Religionsgemeinschaft in Bremen (Schura): Die Vorstellungen wurden über Jahrhunderte von Missionsliteratur geprägt. Ich bin oft darüber erschrocken, dass selbst Intellektuelle ihr Islambild heute noch aus Karl May beziehen.

Bei der Menschenrechts-Diskussion werden Sie sicher auf die Scharia angesprochen.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass körperliche Strafen wie Steinigung oder Handabhacken nicht außerhalb islamischer Gesellschaften zur Anwendung kommen. Es ist ein dreistufiges Modell: Der Islam definiert die Werte, nach denen man leben soll. Zweitens muss er die Voraussetzungen schaffen, damit man sie auch befolgen kann. Erst wenn das gegeben ist, können solche Strafen verhängt werden.

Und drittens sind dann gegebenenfalls die harten körperlichen Strafen gerechtfertigt?

Ja. Allerdings nur für Muslime und nur in einer islamischen Gesellschaft.

Das werden Ihre heutigen Mitdiskutanten – unter anderem Bernhard Docke, Henning Scherf und der a. i.-Vorsitzende Stefan Keßler – möglicherweise anders sehen.

Sicher. Aber Gesetze wachsen eben aus einem gesellschaftlichen Kontext, die dazugehörigen Strafen entsprechen einem Konsens der Beteiligten. Nichtsdestoweniger wird es bei der Diskussion bestimmt darum gehen, dass die Universalität der Menschenrechte nicht relativiert werden darf.

Aber zu diesen „universalen“ Menschrechten gehört auch das auf körperliche Unversehrtheit!

Man darf da nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Im Westen werden die Menschenrechte auf Grund von Mehrheitsverhältnissen definiert, im Islam gelten sie als vom Schöpfer verliehen. Woraus dann auch folgt, dass der Mensch als ein Geschöpf unter vielen eine Verantwortung für seine Mitkreaturen trägt.

INTERVIEW: HENNING BLEYL

Podiumsdiskussion: Samstag 18 Uhr, Foyer des Schauspielhauses. 20 Uhr: „Gegen die Wand“, Oper von Ludger Vollmer