Jugendstrafvollzug im Visier

Justizsenator Carsten Lüdemann kündigt vor Juristen an, bei der Novelle zum Jugendstrafvollzug etwas zurückzurudern. Experten üben weiter Kritik und sehen verfassungsrechtliche Probleme

VON MAGDA SCHNEIDER

Die Experten-Kritik an dem von CDU-Justizsenator Carsten Lüdemann vorgelegten Gesetzentwurf für ein Jugendstrafvollzugsgesetz ebbt nicht ab: „In einigen Teilen wird es große verfassungsrechtliche Probleme geben“, sagt der Kriminologe Frieder Dünkel von der Universität Greifswald voraus. Sein Kollege Peter Wenzel von der Universität Hamburg nennt die Novelle sogar „Chancenversagungsvollzug“. Lüdemann kündigte indes am Donnerstagabend auf einer Veranstaltung vor Juristen an, dass die CDU-Mehrheitsfraktion wegen der Kritik in der nächsten Woche Modifizierungsanträge vorlegen wird.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Mai 2006 in einer wegweisenden Entscheidung den Gesetzgeber dazu verpflichtet, den Jugendstrafvollzug bis Ende 2007 auf eine eigene gesetzliche Grundlage zu stellen. Dabei müsste sich der Knastaufenthalt für jugendliche Straftäter deutlich von dem Erwachsenenvollzug abheben, es habe der Erziehungsaspekt zwecks Resozialisierung im Vordergrund zu stehen, damit die Jugendlichen ein straffreies Leben in Freiheit lernen. Da nach der Föderalismusreform der Strafvollzug nun Ländersache ist, bastelt Hamburg an einem eigenen Entwurf. So wird in der Hamburger Novelle der Sicherheit der Bevölkerung vor kriminellen Jugendlichen mehr Priorität eingeräumt als die erzieherische Einwirkung.

Im so genannten Lüdemann‘schen „Chancenvollzug“ sollen nur die Jugendlichen in Genuss von Vollzugslockerungen und Förderung kommen, die von Anfang an aktiv mitwirken. „Wer im Bildungsverlauf vollständig gescheitert ist oder Probleme hat, dem darf die Teilhabe an der Gesellschaft nicht auf Dauer verwehrt werden“, warnt Wetzels. Im Strafvollzug müssten daher auch die positiven Merkmale identifiziert werden und nicht nur die Defizite, sagt Wetzels. „Je restriktiver der Vollzug, je höher die Rückfallquote.“

Für den Kriminologen Dünkel steht der Hamburger Entwurf im „Wettbewerb der Schäbigkeiten“ im Vergleich zu den Novellen anderer Bundesländer auf Platz eins, weil er in das allgemeine Strafvollzugsgesetz integriert ist. „Die Eigenständigkeit des Jugendstrafvollzugs wird nicht erfüllt“, so Dünkers Verweis auf das Verfassungsgerichtsurteil.

Im Gegenteil: Während den Erwachsenen an Wochenenden soziale Kontakte über Stunden gewährt werden sollen, dürfen – laut Gesetzentwurf – Jugendstraftäter im Monat nur vier Stunden Verwandte und Freunde empfangen. „Die Schlechterstellung von Jugendstrafgefangenen und die Grundrechtseinschränkungen gegenüber Erwachsenen sind nicht akzeptabel“, sagt Dünker. Echt menschenrechtswidrig sogar ist für den Greifswalder Professor die Bedrohung durch Schusswaffengebrauch bei einem Fluchtversuch. „Das verstößt gegen internationale Vorgaben.“

Für Dünker ist ein Chancenvollzug im Jugendbereich überhaupt nicht machbar. „Wir können einige Jugendliche nicht einfach die Haftzeit über aufbewahren“, warnt Dünker und bekommt von Jugendrichter Joachim Katz Rückdeckung. „Heute sind die Gefangenen schwieriger als früher, die muss man sich genau angucken und mit ihnen arbeiten“, warnt Katz, „sonst kommen die gefährlicher raus als sie reingekommen sind.“

Trotz aller Kritik ist für Lüdemann „sein Gesetzentwurf“ weiterhin „innovativ“ und „praktikabel“. Für ihn sei es nur eine „Geschmacksfrage“, ob der Paragraf zur Sicherheit vor der Resozialisierungsklausel stehe. Das sei keine Geschmacksfrage, kontert Dünkel, das habe Symbolwert. „Das Vollzugsziel ist die Resozialisierung, die Sicherheit nur eine Auflage.“