WählerInnen nehmen Einfluss

Vorläufiges Wahlergebnis: Es wurden wenige Stimmen verschenkt, viele Abgeordnete wurden direkt gewählt. Wegen der knappen Stimmenverhältnisse kann sich die Sitzverteilung noch ändern

VON GERNOT KNÖDLER

Das neue Wahlrecht hat den HamburgerInnen weniger Probleme bereitet als befürchtet. Wie das vorläufige Wahlergebnis zeigt, das Landeswahlleiter Willi Beiß am Freitag vorstellte, sind nur wenige Stimmen verschenkt worden. Viele WählerInnen nutzten die Möglichkeit, KandidatInnen direkt anzukreuzen. In fünf Fällen ist es damit gelungen, KandidatInnen an den Parteien vorbei in die Bürgerschaft zu wählen. Die Sitzverteilung in der Bürgerschaft ist noch immer unsicher, weil die Parteien zum Teil nur wenige Hundert Stimmen auseinanderliegen. An der Koalitionsarithmetik wird sich dadurch aber wohl nichts ändern.

Nach dem vorläufigen Ergebnis erhält die CDU 56 Sitze, die SPD 44, die GAL 13 und die Linke acht Sitze. „Das ist eine Mandatszahl, die auf der Kippe steht“, sagte Wolfgang Bick vom Statistik-amt Nord. Möglicherweise entschieden 200 Stimmen mehr oder weniger darüber, ob eine Partei ein Mandat mehr und eine andere eines weniger erhalte. Das könnte besonders die SPD betreffen, für die ein weiteres Mandat in greifbarer Nähe liegt. Sicherheit wird erst das amtliche Endergebnis bringen. Dafür werden die vorliegenden Ergebnisse nach der üblichen Routine auf Plausibilität geprüft und gegebenenfalls nachgezählt.

Entgegen den Propheten aus den Volksparteien, die das neue Wahlrecht mit seinen je sechs Stimmen für die Bürgerschaft und die Bezirksversammlungen für zu kompliziert erklärt hatten, lag die Zahl der ungültigen Stimmen niedriger als bei der Bürgerschaftswahl 2004: Nur 7.800 statt 10.500 waren für den Papierkorb. Allerdings lag auch die Wahlbeteiligung nur bei 64 statt bei 69 Prozent.

Die WählerInnen verschenkten kaum Kreuze: Durchschnittlich vergaben sie 4,7 bis 4,8 ihrer fünf Stimmen für die Wahlkreisliste der Bürgerschaft. Die Möglichkeit, Kandidaten auf diesen Listen direkt anzukreuzen, nutzten sie weidlich. Bei der Bürgerschaftswahl vergaben sie 41 Prozent ihrer Wahlkreisstimmen an Personen; mit 59 Prozent wurden die Parteien angekreuzt. Bei der Bezirksversammlungswahl ergibt sich mit einem Verhältnis von 40 zu 60 das gleiche Bild.

Mit Hilfe der Direktstimmen gelang es fünfmal, die Parteilisten zu verändern. Metin Hakverdi (SPD) rutschte im Wahlkreis Billstedt-Wilhelmsburg-Finkenwerder mit fast 21 Prozent Direktstimmen vom Listenplatz vier nach oben und in die Bürgerschaft. Bernd Capeletti (CDU) gelang ein ähnliches Kunststück mit gut 14 Prozent in Bergedorf. Auch Ole Thorben Buschhüter (SPD), der rund 12 Prozent in Rahlstedt holte, Bülent Ciftlik (SPD) mit knapp 12 Prozent in Altona und Frank Schira (CDU) mit rund elf Prozent im Wahlkreis Alstertal-Walddörfer gehören zu den Gewinnern des Persönlichkeitswahlrechts.

Der Verein „Mehr Demokratie“ und die GAL bemängelten, dass dieser Effekt mit dem per Volksentscheid ursprünglich beschlossenen Wahlrecht größer gewesen wäre. Laut GAL hätten weitere 15 Bewerber von hinteren Plätzen der Listen aus in die Bürgerschaft einziehen können, wenn die CDU das Wahlrecht nicht noch einmal verändert hätte. „Mehr Demokratie“ wies darauf hin, dass Bewerber in die Bürgerschaft einziehen werden, die zum Teil viel weniger Direktstimmen erhielten als die gescheiterten Bewerber.

„Der Wählereinfluss muss entsprechend dem Volkswahlrecht wieder gestärkt werden“, verlangte der GAL-Verfassungsexperte Farid Müller. Sein SPD-Kollege Andreas Dressel lobte die demokratische Reife der Wähler, die sich an den vielen Direktstimmen und den wenigen ungültigen Stimmen zeige. Dass die CDU jetzt nach neuen Wahlrechtsänderungen rufe, sei „schwer nachzuvollziehen“.

Trotz eines glänzenden Ergebnisses nicht gereicht hat es für den parteilosen Ingo Böttcher aus Rothenburgsort. Mit 3.700 Stimmen holte er mehr als so manche Splitterpartei, einschließlich der ÖDP, des Zentrums und der Grauen. Die DVU erhielt nicht einmal doppelt so viele Stimmen wie Böttcher, der in der Stadtteilinitiative „Hamburgs Wilder Osten“ aktiv ist. Unter den Einzelbewerbern erhielt noch Harry Schaub ein vierstelliges Ergebnis.

Auch die Möglichkeit, für die Bezirksversammlung Abgeordnete direkt zu wählen, ist genutzt worden. Entgegen der ersten Modellrechnung von Montag bewirkte die Auszählung der Persönlichkeitsstimmen, dass in allen Bezirksversammlungen fünf Fraktionen vertreten sein werden. Die FDP darf zwei Abgeordnete direkt in die Bezirksversammlung Mitte und einen direkt in die Bezirksversammlung Bergedorf entsenden. Auch die CDU darf einen zusätzlichen Abgeordneten direkt in das Gremium entsenden. In Mitte reicht das Ergebnis nach wie vor für eine rot-grüne Koalition mit absoluter Mehrheit. In Bergedorf hatte es dafür schon nach der alten Rechnung nicht gereicht.