Gottesurteil oder Wählerrechte

Debatte über das Volksbegehren für „ein faires Wahlrecht in Hamburg“: Ex-Gewerkschaftschef Frank Teichmüller widerspricht dem früheren Umweltsenator Alexander Porschke. Der wolle das „imperative Parteienmandat“ einführen

„Viel Feind, viel Ehr“, könnte man zu Alexander Porschkes Debattenbeitrag zum „Volksbegehren für ein faires Wahlrecht“ der Initiative „Mehr Demokratie“ in der taz hamburg vom Dienstag denken und sich beruhigt wieder hinlegen. Doch halt, ist er nicht alter GALier? War er nicht sogar Senator? Und unterstützt die GAL nicht den Volksentscheid? Was ist denn da passiert?

Die einfachste Lösung wäre, er war die ganze Zeit in Peru. Da hätte er dann nicht mitbekommen, wie das Volk mit einem Volksentscheid 2004 mit Unterstützung der GAL ein neues Wahlrecht für Hamburg durchsetzte. Er hätte nicht erlebt, wie die CDU mit ihrer absoluten Mehrheit gegen alle anderen Parteien dieses neue Wahlrecht kastrierte. Nur das wollen wir uns jetzt zurückholen. Aber so einfach ist es leider nicht, drei Jahre Peru reichen als Erklärung nicht. Umso schwieriger sind die fünf Begründungen des Herrn Porschke zu bewerten.

Erstens: Der Kandidat werde sich stärker seiner „Klientel“ verpflichtet fühlen als der Linie der Partei. Ja, das kann passieren. Die Politiker sollen im Parlament das Volk, die Wähler repräsentieren, deswegen wählt sie das Volk. Sollte Herr Porschke den Begriff „repräsentative Demokratie“ missverstanden haben? Der Politiker als Repräsentant seiner Partei? Außerdem erleben die Wähler schon immer Klientelpolitik, nur hat die nichts mit Wahlen, sondern mit Macht zu tun.

Zweitens: Parteien können den „von ihnen entsandten Vertretern“ die Richtung ständig klar machen, die Wähler nur alle vier Jahre. Also was ist zu tun? Dazu sagt Herr Porschke leider nichts. Eine Unterstellung von mir: Er will das imperative Parteienmandat einführen und die Persönlichkeitswahl abschaffen.

Drittens: Wahlkreise führten zur Vernachlässigung der gesamtstädtischen Orientierung, das sei der „Preis für mehr Basisbezug“. Oh, alte grüne Basisorientierung, was ist nur aus dir geworden? Dass wir in allen Bundesländern und bei der Bundestagswahl schon immer Wahlkreise hatten, führt in einer Großstadt zur „Provinzialisierung“? Lässt sich das ewige politische Dilemma, zwischen widerstreitendem Einzel- und Gesamtinteresse einen Weg zu finden, dadurch lösen, dass Partikularinteressen nicht mehr vertreten werden dürfen? Die Parteien wirken an der Willensbildung mit, sie können sie nicht ersetzen.

Viertens und fünftens: Die Ausgewogenheit der Listenzusammenstellung durch die Parteien werde vom Wähler zerstört, der zudem die zu Wählenden nicht so gut beurteilen kann, wie die eigenen Parteifreunde. Zunächst, das Argument ist zutreffend. Ach, wären doch Parteien so übermenschlich, dass nur akzeptierte Ergebnisse herauskämen. Wegen der rechtswidrigen Kandidatenfindung bei der Hamburger CDU musste 1993 eine Bürgerschaftswahl wiederholt werden. Das Theater bei der CSU war amüsant aus der Ferne zu betrachten, die Aufstellung von Herrn Ilkhanipour in der SPD Eimsbüttel eher eklig.

Der Durchschnittswähler wird sich überlegen, ob er gute und einsehbare Platzierungen auf den Listen korrigiert, wenn es keinen Anlass dafür gibt. Aber wenn er einen Grund sieht, dann ist der Wähler er, nicht die Partei.

Demokratie ist kein Ideal. Schon Platon hätte lieber den Rat der Weisen gesehen. Aber gerade heute in der Finanzkrise wissen wir, dass sich zu Weisen viele berufen fühlen; wer aber sie auswählt, ist die ungelöst spannende Frage. Und solange wir nicht an ein Gottesurteil glauben, sollten wir diesen Job dem Wähler überlassen. FRANK TEICHMÜLLER

Fotohinweis:FRANK TEICHMÜLLER, 65, war bis 2005 Chef der IG Metall Küste. Er ist aktiv bei „Mehr Demokratie“. FOTO: DPA