Wiederholungstäter im Visier

JUSTIZ Verwaltungsgericht erklärt polizeiliche Auflösung einer Moorburg-Demonstration für rechtswidrig – das sieht die Polizei selbst auch so

„Das Urteil ist eine Ohrfeige für Innensenator Ahlhaus und die Polizeiführung“

CHRISTIANE SCHNEIDER, DIE LINKE

Jetzt ist es amtlich: Die Auflösung der Demonstration vor dem geplanten Kohlekraftwerk Moorburg durch die Polizei im Sommer 2008 war rechtswidrig. Das hat Polizei-Justitiarin Andrea Horstmann am Montag vorm Verwaltungsgericht offiziell eingeräumt. Das Gericht geht nun davon aus, dass der Vorgang für die Polizeiführung disziplinarrechtliche Konsequenzen haben wird.

Am 20. August vorigen Jahres hatten sich rund 150 Menschen spontan vor der Vattenfall-Kraftwerksbaustelle versammelt. Zuvor war es 30 Aktivisten der Kampagne Gegenstrom 08 im Zuge des bundesweiten Klimacamps gelungen war, zwei Baukräne zu erklimmen und Transparente zu entrollen: „Stromkonzerne enteignen!“.

Gegen 21.30 Uhr erklärte der Chef der Bereitschaftspolizei und Einsatzleiter vor Ort, Hartmut Dudde, in Rücksprache mit Gesamteinsatzleiter Peter Born im Präsidium, plötzlich die Versammlung für aufgelöst. Seine Begründung: Der Polizeieinsatz habe den Steuerzahler schon genug Geld gekostet. Außerdem werde nur noch Musik gespielt, was einem „unpolitischen Abhängen“ gleichkäme. Obwohl die Kranbesetzer noch in den Seilen hingen, sei der Protest nicht mehr vom Versammlungsrecht gedeckt, so Dudde. Er ließ 50 Demonstranten, die der Auflösungsverfügung nicht nachkamen, gewaltsam durch Polizisten wegtragen.

Die späteren Bußgeld-Bescheide gegen die Demonstranten wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz sind zwar alle von den Amtsgerichten für rechtswidrig erklärt worden, dennoch hatte der rechtswidrige Polizeieinsatz für den Pressesprecher von Gegenstrom 08, Tadzio Müller, strafrechtliche Konsequenzen. Er wurde vom Amtsgericht Harburg wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu 150 Euro Geldstraße verurteilt, da er sich beim Wegtragen bei Nachbarn eingehakt haben soll.

„Das Urteil ist eine Ohrfeige für Innensenator Ahlhaus und die Polizeiführung, die das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit missachtet und die Spontandemo unter Anwendung polizeilicher Gewalt rechtswidrig aufgelöst hatten“, sagt die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, Christiane Schneider.

Ihr zufolge „hebeln die Polizeiführer Born und Dudde seit Jahren das Versammlungsrecht aus“. Es müsse disziplinarrechtliche Folgen haben, dass diese Polizeiführer „zu Wiederholungstätern geworden“ seien, fordert Schneider. KAI VON APPEN