Revolution ohne Reue

Seit diesem Herbst ist das Palästinensertuch auch in den Modeketten angekommen. Das Jugendforum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Hamburg bietet den Umtausch an – gegen einen politisch korrekten American-Apparel-Schal

VON DANIEL WIESE

Die Kaufhauskette C & A ahnte wohl, was auf sie zukommen würde. Kaum waren die Palästinensertücher vergangenes Jahr in den Schaufenstern aufgetaucht, waren sie wieder verschwunden. Der Konzern wolle in seinem Sortiment auf „politische, religiöse oder weltanschauliche Symbolik“ verzichten, zitierte der Stern das C & A-Management.

Andere Ketten hatten weniger Skrupel, bei H & M, Zara und anderen gibt es inzwischen Palästinensertücher – sehr zum Ärger des Jugendforums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Dessen Bundesvorsitzender Stefan Hensel hat über das Hamburger Büro der Organisation zu einer Umtauschaktion aufgerufen: „In den kommenden Tagen nehmen wir das so genannte ‚Palituch‘ entgegen und verlosen wirklich modische Schals“, heißt es in dem Aufruf, der diese Woche erschien. Die Aktion geht bis zum 20. Dezember, verlost werden Schals der Marke „Amercian Apparel“. Das Unternehmen aus Los Angeles gilt als politisch korrekt, weil es in Los Angeles selbst produzieren lässt und Mindestlöhne garantiert.

Das Palästinensertuch erfahre ein „Comeback als hippes Accessoire“, konstatiert das deutsch-israelische Jugendforum. Die „meistens jüngeren Träger“ machten sich nicht klar, dass das Tuch 1936 vom damaligen Großmufti von Jerusalem mit Gewalt gegen die eigene Bevölkerung durchgesetzt worden sei, die damals gerne europäische Hüte trug. Außerdem impliziere das Tuch „eine Sympathiebekundung mit denjenigen terroristischen Kräften, die sich mit Anschlägen vor allem gegen die Zivilbevölkerung in Israel richten“.

Die Aktion der deutsch-israelischen Jugendorganisation ist nicht die erste ihrer Art. Bereits 2002 kursierte in Berlin ein Flugblatt der zum linken „antideutschen“ Spektrum gehörenden JungedemokratInnen / Junge Linke, das „Coole Kids tragen kein Pali-Tuch“ überschrieben war. „Okay, Du bist etwas verwundert. Du trägst ein Pali-Tuch. Du bist jung, Du nennst Dich radikal, oder auch nicht. Du nennst Dich antifaschistisch, oder auch nicht. Jedenfalls trägst Du ein Pali-Tuch“, heißt es in dem Pamphlet, dass in der Szene einige Berühmtheit erlangt hat. Im Folgen wird erklärt, dass es problematisch sei, als Linker anti-israelische Positionen zu vertreten denn in der arabischen Welt gehe es Schwulen, Lesben, Feministinnen und Atheisten schlecht. Da könne man ja wohl nicht die Palästinenser verteidigen.

Offiziell hat die Deutsch-Israelische Gesellschaft, in deren Präsidium verdiente Bundespolitiker sitzen, mit der antideutschen Linken nichts zu tun. „Ich verfolge nicht deren Diskussionen“, sagt Hensel, der Initiator der Hamburger Umtauschaktion. Er fände es aber auch nicht schlimm, punktuell mit den Antideutschen übereinzustimmen. Das Tragen von Palitüchern sei in seinen Augen eine „Geschmacklosigkeit“, wenn die „Enkel der Täter“ die Träger sind.

Genau in diesem Punkt konvergieren die offiziell israelische und die anti-deutsche Wahrnehmung des Palituchs. Die Kinder und Kindeskinder der Täter sollen sich nicht mit denjenigen solidarisieren, die sich gegen die Kinder und Kindeskinder der Opfer stellen. So fragwürdig diese binäre Logik ist, so berechtigt ist die Frage, die sie gebiert: Kann es cool sein, Palituch zu tragen? Es ist ja nicht unbedingt notwendig, die Gleichung Palästinenser = Selbstmordattentäter aufzustellen. Es ist sogar denkbar, die israelische Besatzungspolitik zu kritisieren und trotzdem festzustellen, dass der berühmteste Palituchträger Yassir Arafat nicht nur ein glorreicher Befreiungsheld war, und dass das Leben in Palästina nicht nur wegen der Israelis schwierig sein kann, sondern auch wegen religiöser Fanatiker im palästinensischen Lager.

Das Bewusstsein der hiesigen Palituchträger weiß von derlei Problemen freilich nichts. „Die, die das entsprechende politische Bewusstsein haben, tragen keine Palitücher mehr, und die, die sie tragen, haben überhaupt keinen Bezug mehr dazu“, heißt es dazu aus dem Mitali Fashion Shop im Hamburger Karolinen-Viertel, einem Hauptumschlagsplatz für die Tücher mit dem Rautenmuster. Auch die Farbenlehre der Tücher – weiß-schwarz für die normalen Demonstranten / Hausbesetzer, weiß-rot für das anarchistische Lager – ist in Vergessenheit geraten. Man verkauft im Hamburger Karo-Viertel Palitücher in weiß-pink, rot-pink, in schwarz-blau und schwarz-gelb, es gibt sogar welche mit Totenkopfmuster. Mit der Vervielfältigung der Farben ist aus ihnen die Bedeutung entschwunden. Im übrigen, sagt der Verkäufer, lasse der Hype schon wieder nach, der Höhepunkt war im Herbst.

Wie immer, wenn Zeichen aus dem oppositionellen Raum in die Verwertungskette eingespeist werden, ist das Zeichen selbst nicht gleichgültig. Gerade seine verschwindende Bedeutung produziert seinen Mehrwert. Auch wenn die Träger der Palitücher davon nichts mehr zu wissen glauben, vernehmen sie von ferne einen Hauch von Revolution, von Gefahr und bewaffnetem Kampf. Es ist eine Musik, die so leise klingt, dass sie keine Angst mehr macht, aber für ein leichtes Kribbeln sorgt sie doch.

Selbst den Produzenten aber ist der Zusammenhang mittlerweile entschwunden. Eines der Modelabels, das im vergangenen Jahr den Palitücher-Boom lostrat, ist Lala Berlin. Mode und Politik hätten nichts miteinander zu tun, erklärt die Designerin (und Inhaberin) des Labels, Leyla Piedayesh. „Es lohnt sich nicht mehr, politisches Bewusstsein zu haben, wenn Ihnen das noch nicht aufgefallen ist“. Außerdem seien ihre Kaschmirtücher keineswegs Palitücher, Palitücher hätten Rauten, ihre nicht, als Vorlage hätte sie ein ägyptisches Modell genommen, die Kufiya genannte Kopfbedeckung sei schließlich im ganzen arabischen Raum verbreitet.

Andererseits: auf die Idee zu ihren Tüchern kam die Designerin, als sie ein Foto mit Johnny Depp sah, der ein Palästinensertuch trug. „Einfach nur cool“ habe sie das gefunden, erzählte Piedayesh dem Stern im März dieses Jahres. „2008 haben wir kein politisches Bewusstsein“, sagt sie jetzt. Es ist ihr abschließendes Wort zu dem Thema.

Bei „Quartier de Luxe“, einem Versandhandel mit Adresse in Prenzlauer Berg, der unter anderem die Kreationen von Lala Berlin vertreibt, sind die Tücher von Piedayesh in den Farben blau, grau und „salz for men“ aufgelistet, unter der Bezeichnung „Palituch Kaschmir“. Die Designerin hat darauf keinen Einfluss. Ein Zufall ist es aber kaum.