Das Dogma der permanenten Provokation

Der 10. Bremer Filmpreis der Kultur-Stiftung der Sparkasse Bremen geht an den Regisseur Lars von Trier. Der Däne liebt es, das Publikum mit seinen Schrullen zu konfrontieren. Er hat zwar das Manifest „Dogma 95“ initiiert, passt aber in keine Schublade

Seine beste Inszenierung ist vielleicht er selbst! Lars von Trier bastelt so geschickt am eigenen Mythos als Enfant terrible der Filmkunst, dass man oft mehr über ihn selbst als über seine Filme redet. Jetzt soll er den 10. Bremer Filmpreis der Kunst- und Kultur-Stiftung der Sparkasse Bremen erhalten. Zur Preisverleihung, die am Donnerstag im oberen Saal des Bremer Rathauses stattfinden soll, will von Trier mit seinem Wohnwagen anreisen. Der Regisseur hat extreme Flugangst.

Von Triers Phobien und Schrulligkeiten sind Legende. Das „von“ hat der 1956 geborenen Däne frech seinem Namen hinzugefügt. 1990 zeigte er der Jury der Filmfestspiele in Cannes den Stinkefinger, weil diese sich erdreistet hatte, ihm für „Europa“ zwar den Regiepreis, aber nicht die Goldene Palme zu verleihen. Inzwischen ist er Stammgast in Cannes und es gibt zu jedem seiner dort fast immer prämierten Filme Debatten in den Feuilletons: Sind die im Himmel läutenden Glocken in der Schlusseinstellung von „Breaking the Waves“ religiöser Kitsch? Werden die geistig Behinderten in „Idioten“ zynisch vorgeführt und dadurch denunziert? Darf man solch einen antiamerikanischen Film wie „Dogville“ drehen, ohne jemals selbst in den USA gewesen zu sein? Von Trier freut sich über diese Auseinandersetzungen vielleicht mehr als über die Preise und Lobeshymnen, denn er liebt es zu provozieren.

Sein Vorbild und Rollenmodell war der dänische Filmpionier Carl Theodor Dreyer („Johanna von Orleans“, „Das Wort“), und dies nicht nur wegen dessen rigiden Stils und den großen, sich opfernden Frauengestalten, sondern vor allem, weil von Trier „auch ein großer, einsamer und unverstandener Künstler von Weltruhm seine wollte“, so der Filmwissenschaftler Peter Schepelern. Dreyers Einfluss war bei von Triers frühen, expressionistischen Filmen deutlich zu spüren. Seine Europatrilogie, die mit dem ersten Festivalerfolg „Element of Crime“ begann – nach der sich die Popband Sven Regeners benannte –, war Kunstkino in Reinform.

Just als die Kritiker glaubten, die passende Schublade für diesen manierierten Avantgardisten gefunden zu haben, inszenierte er 1994 mit „Geister“ eine Fernsehserie, die wie eine Mischung aus Edgar Allen Poe und der Schwarzwaldklinik wirkte. Hiermit bewies von Trier, dass er einen eigenen, makabren Humor hat und mit den verschiedensten Medien arbeiten kann. Tatsächlich hatte er schon früher mit Werbespots und Musikvideos Erfolg. Stilistisch machte er 1996 mit „Breaking the Waves“ eine Kehrtwende, indem er all seine Kunstfertigkeit über Bord warf und plötzlich ein in seinen stilistischen Mitteln so weit wie möglich reduziertes Kino machte, das zum Manifest Dogma 95 führte, das er mit einer Reihe anderer Filmemacher formulierte.

Obwohl er der Initiator dieser Bewegung war, machte er selbst nur einen einzigen halbherzigen Dogmafilm („Idioten“) und wechselte mit „Dancer in the Dark“ in die Gegenposition. Das Musical zum Thema Todesstrafe erlangte durch seine Auseinandersetzungen mir der Sängerin Björk Berühmtheit. In „Dogville“ und „Manderlay“ drehte von Trier virtuoses Antikino, indem er die Schauspieler auf einer leeren Bühne agieren ließ, bei der die Räume durch Kreidestriche markiert waren.

Wie von Trier arbeitet, lässt sich am besten an seinem Film von 2003 „The Five Obstructions“ erkennen, obwohl er ihn im Grunde gar nicht selbst inszeniert, sondern ferngesteuert hat. Aber das Wichtigste bei seinen Filmen ist ja eh das Konzept. Von Triers Mentor Jorgen Leth drehte 1967 einen Kurzfilm, den von Trier sehr verehrt. Deshalb gab er Leth die Aufgabe, den gleichen Film fünfmal neu zu machen – allerdings unter immer absurder werdenden „Bedingungen“, die von Trier formulierte. Dabei brechen zugleich dessen Kontrollzwang und spielerische Fantasie durch, und das Ergebnis ist ein Film, wie ihn wohl nur von Trier machen kann.

Zu dessen Obsessionen und Phobien gehört es, seine Filme in Trilogien einzuteilen. Auf die Europatrilogie folgte die „Goldherzen-Trilogie“ und eine „America“-Trilogie, an der ihm nach zwei Dritteln offenbar die Lust verging. Inzwischen hat er unter dem Projektnamen „The Advance Party“ eine neue Trilogie in Planung, die aus drei digital in Schottland gedrehten Filmen bestehen soll, bei denen jeweils die gleichen Schauspieler mitwirken sollen und die höchstens eine Million Pfund kosten dürfen. Ein neues Dogma also.WILFRIED HIPPEN