Kröten und erhängte Schweinchen

Künstler aller Ären liebten das Thema, weil sich damit so schön Phantastisches darstellen ließ: Den Versuchungen des Heiligen Antonius ist eine Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum gewidmet. Sie ist bunt, wuselig – und präsentiert natürlich massenweise Frauen als Verführerinnen

Was dem Mittelalter noch grausames Schrecknis war, mutierte im 17. Jahrhundert zum karnevalesken Gewusel

VON PETRA SCHELLEN

Ja, er schaut schon gierig auf die laszive Schöne. Aber er macht nix. Jedenfalls nicht, bis der Maler gegangen ist; danach wird man weitersehen: Zur schwächelnden Witzfigur ist bei Lovis Corinth der ehemals so heilige Antonius mutiert, dem das Hamburger Bucerius Kunst Forum derzeit eine erste repräsentative Ausstellung widmet.

„Schrecken und Lust – die Versuchung des heiligen Antonius“ heißt sie und hat allerlei Phantastisches im Repertoire: Vom fabulierfreudigen Hieronymus Bosch über niederländische und italienische Maler des 16. bis 18. Jahrhunderts bis zu den Surrealisten reicht das Spektrum der präsentierten Werke. Und auch wenn die motivische Wiederholung auf Dauer ermüdet, kann das Studium der Details doch sehr vergnüglich werden: Monster, Kröten, Kopffüßler und Zwitter zu Land und zu Wasser, Saurier-Mutanten und Feuer speiende Fische wandern da über den Globus.

Zu Hunderten wuseln sie über die Leinwände und machen plastisch, was dem Mittelalter – und das konnte dem Klerus nur recht sein – noch Angst und Schrecken war: die Versuchungen dieser bösen, bunten, lärmenden Welt, die insbesondere die männliche Bevölkerungshälfte treffen. Die aber widersteht natürlich aufs Ehrbarste und Bravste. Jedenfalls, wenn die Protagonisten so fromm und heilig sind wie der alte Antonius, der, um 250 in Ägypten geboren, als 20-jähriger Asket in die Wüste ging, wie es vor ihm Christus getan hatte, um ausschließlich zu fasten und zu beten.

Dem Teufel aber gefiel das nicht; er verwandelte sich verschiedentlich und schickte Antonius allerlei Unbill: Geld, Dämonen, Prügelkommandos und, natürlich: Frauen, deren einziges Trachten es war, den Eremiten zu verführen und von seinem gottgefälligen Weg abzubringen.

Doch der wankte nicht, mutierte sogar zum Dämonenaustreiber und Schutzpatron der am „Mutterkorn“, einer im Mittelalter verbreiteten Pilzvergiftung, Erkrankten. Zudem führte er stets ein Schwein mit – stellvertretend für die damals in den Dörfern gemästeten Schweine, die der Versorgung jener Patienten dienten.

Als statuarisch Unbeirrter, den ehrwürdigen Patriarchen der orthodoxen Kirche gleich, kommt er dann auch auf Altären und den Bildern des 15. Jahrhunderts daher, deutlich nicht von dieser Welt. Auch die Versuchungen kommen teils – etwa beim Antwerpener Meister um 1500 – recht gesittet daher: Fast verschüchtert stapft da eine halb entblößte Schöne einher; eine abwehrende Handbewegung Antonius’ genügt, um die Chimäre zu verscheuchen.

Hieronymus Bosch dagegen fand deutlich Gefallen am höllischen Gewimmel. Denn wenn man ihn auch nicht der Ketzerei bezichtigen kann, hat er doch mit Lust erhängte Schweinchen, Kopffüßler und Teufelchen gemalt, mit Vergänglichkeits- und Sexualsymbolen gearbeitet und so richtig was zum Schauen geschaffen; ein wild wuselndes apokalyptisches Comic, angefüllt mit all jenen Tätigkeiten, die ganz gewiss direkt ins Höllenfeuer führen würden; und siehe, die Kirche im Hintergrund brannte ja schon. Auch den Klerus nahm er aus seiner Kritik an der verruchten Welt nicht aus.

Von da war es dann nicht mehr weit zum fast karnevalesken Einsatz all jener Schreckgestalten: Nicht der Bekehrung, sondern der Unterhaltung des geneigten Betrachters dienten Darstellungen von Antonius’ Versuchung seit dem 17. Jahrhundert. Bezeichnend auch, dass Antonius – etwa bei Jan Bruegel d. J. oder David Teniers – immer kleiner wird; kaum findet man es noch, das winzige Männlein, in irgendeiner Klause am Bildrand hockend. Irgendwie kommt der Heilige in dieser lust- und schreckvoll wuselnden Welt gar nicht mehr recht vor – ein interessanter Link zur fortschreitenden Säkularisierung der Welt, in der Mönche, Asketen, Rückgrat-Bewehrte rar geworden sind und fast als lächerlich und weltfremd gelten.

Fröhlich präsentieren die Ausstellungsmacher „blasphemische“ Bilder wie das von Félicien Rops, der Antonius um 1858 in inniger Umarmung mit seinem Schwein zeigt. Beide tragen einen Heiligenschein; sollte Antonius in Wirklichkeit ganz andere Neigungen gehabt haben? Sollte er den Versuchungen am Ende doch nicht standgehalten haben und der Mythos also Lüge sein?

Und ist das wirklich der ehemals so standhafte Heilige, den Domenico Morelli 1878 als zitterndes Männlein im Bette mit mehreren Schönen zeigt, ängstlich betend, dass diese Nacht auch tugendreich zu Ende gehen möge?

Gar lustig anzuschauen auch die Versionen von Otto Dix und Max Ernst, die sich – mit wohligem Grusel – lieber den Monsterchen zuwandten als dem Heiligen. Hieronymus Boschs Fabelwesen als direkte Vorfahren surrealistischer Phantasien? Wer weiß, vielleicht haben die Maler auch nur die Phantasmen im eigenen Kopf illustriert oder das Gedanken-Gefühls-Gewusel, das sich einstellt, sobald sich der Beter oder Meditierende auf sein Kissen setzt.

Ein interessanter Ansatz – doch trotz aller auch sonstigen Lustigkeiten und Brechungen bedient diese Ausstellung – ausgerechnet, aber zufällig in der Fastenzeit platziert – einen recht schlichten Voyeurismus. Sie transportiert außerdem exakt jenes Frauenbild, das immer noch fast jedes Werbeplakat übermittelt: das der Frau als nur noch fertig auszupackendes Geschenk, deren Ziel die Verführung des Mannes und ganz allgemein die Verangenehmung seines Daseins ist.

Schade ist außerdem, dass die Schau mit Malern wirbt, die sie letztlich gar nicht präsentiert: Von Hieronymus Bosch etwa ist nur eine einzige eigenhändige Zeichnung zu sehen; alle übrigen Bilder im Bosch’schen Duktus werden seinem Umfeld oder Nachfolgern zugeschrieben. Auch die Jan Bruegel d. J. zugeschriebene „Versuchung des heiligeln Antonius“ könnte – so das Kleingedruckte im Katalog – genauso gut aus dessen „Umkreis“ stammen. Solche Ungenauigkeiten sind ein ganz klein bisschen unlauter und entwerten die Hamburger Ausstellung in ihrer Authentizität.

Die Ausstellung ist bis 18. 5. im Hamburger Bucerius Kunst Forum zu sehen