Unklare Aktenlage am Millerntor

Heute ehrt der FC St. Pauli die Gründer seiner Rugbysparte: Otto und Paul Lang waren als Juden ab 1934/35 nicht mehr wohlgelitten, der eine floh, der andere überlebte das KZ Theresienstadt. Für die Aufarbeitung der Vereinsgeschichte kann die nun enthüllte Gedenktafel nur ein Zwischenschritt sein

Anfang des Jahres 1933 kümmerte es den Verein noch wenig, ob jemand jüdischen Glaubens war

VON RENÉ MARTENS

Wenn die Fußballer des FC St. Pauli spielen, ist am Millerntor selten so viel politische Prominenz versammelt wie am heutigen Freitag. Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, das FDP-Bundestagsmitglied Rainer Funke, Wolfhardt Ploog, Vizepräsident der Hamburger Bürgerschaft (CDU), Vize-Bürgermeisterin Christa Götsch (GAL) und Hamburgs SPD-Fraktionschef Michael Neumann: Sie alle sind im Stadion – aber nicht aus sportlichen Gründen, sondern weil der Verein im Erdgeschoss der Südtribüne eine Gedenktafel enthüllt. Gewidmet ist sie den beiden jüdischen Mitgliedern Otto und Paul Lang, die 1933 die Rugbysparte des FC St. Pauli gründeten. Und die Abteilung wiederum feiert dieser Tage ihr 75-jähriges Jubiläum.

Otto Lang, Jahrgang 1906, emigrierte 1934/35 über Antwerpen in die USA, wo er 2003 starb; sein Bruder Paul Lang, Jahrgang 1908, wurde noch im Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert. Er überlebte das KZ und starb ebenfalls 2003 in Hamburg. Die Langs gelten als regionale Rugby-Pioniere. Als sie die Sparte beim FC St. Pauli aufbauten, gab es in Hamburg nur vier weitere Rugbyklubs. Dass sie beim FC Basisarbeit leisten konnten, lag offensichtlich daran, dass es den Klub Anfang 1933 noch wenig kümmerte, ob jemand jüdischen Glaubens war. Wann sich diese Haltung änderte, ist unklar: Aus dieser Zeit liegen keine Akten vor. Vom „Nachbarn“, dem Hamburger Sportverein, ist bekannt, dass er ab Oktober 1933 keine Juden mehr aufnahm; jene, die bereits Mitglied waren, schloss er aber auch nicht aus. Das fanden im vergangenen Jahr die Macher der Ausstellung „Die Raute unter dem Hakenkreuz. Der HSV im Nationalsozialismus“ heraus.

Otto Lang hat den FC St. Pauli offensichtlich 1934 verlassen – ob er das freiwillig tat, ist ungeklärt. Von Bruder Paul ist lediglich überliefert, dass er sich „nach dem Krieg nie wieder beim Verein hat blicken lassen“. Das sagt Rolf Kowalik, Präsident des Hamburger Rugby-Verbandes, der über die Langs recherchiert hat. Fühlte Paul Lang sich vielleicht vom Verein verraten?

Das Thema FC St. Pauli und die Nazizeit war bisher von zwei Personalien geprägt: In Wilhelm Koch (1900–1969) hatte der Klub einen Präsidenten, der nicht nur während der NS-Zeit amtierte. Das NSDAP-Mitglied regierte den Verein von 1933 bis zu seinem Tod im Jahre 1969 – nur zwischen 1945 und 1947 nicht, als in Hamburg Ex-Parteimitglieder keinem Sportverein vorstehen durften. Von 1970 bis 1997 war das Stadion am Millerntor nach ihm benannt.

Die zweite aufschlussreiche Figur ist Otto Wolff (1907–1992), Ligaspieler Ende der 20er- und während der 30er-Jahre: Er war einer der ranghöchsten Schreibtischtäter der Hamburger NSDAP. Der Multifunktionär, der in der SS als Standartenführer wirkte, war unter anderem ab 1940 Gauwirtschaftsberater und spielte eine zentrale Rolle bei der Organisation der Zwangsarbeit, wobei er eng mit dem Leiter des KZ Neuengamme kooperierte. Wolff wurde mit der Goldenen Ehrennadel des FC St. Pauli ausgezeichnet – ob während der Nazizeit oder erst in den 50er-Jahren, ist aber nicht hundertprozentig zu klären.

1998 hat der FC wegen der NSDAP-Mitgliedschaft des Namenspatrons die Rückbenennung von Wilhelm-Koch-Stadion in Millerntorstadion beschlossen, auch gibt es seit 2004 im Stadion eine Gedenktafel für „Mitglieder und Fans des FC St. Pauli“, die Opfer der Nazi-Diktatur wurden. Eine systematische Aufarbeitung der eigenen Geschichte hat der Klub gleichwohl verschlafen – zu lange, zumal es ja immer weniger Zeitzeugen gibt, die noch Auskunft geben könnten. So wäre immerhin bis ins Jahr 2003 Zeit gewesen, die heute geehrten Gebrüder Lang zu befragen.

Anlässlich seines 100-jährigen Bestehens im Jahr 2010 will der Klub sein eigenes Wirken in der NS-Zeit nun aber doch umfassend aufarbeiten. Wieviel Geld für die Nachholbedarfsaktion zur Verfügung steht, entscheidet sich möglicherweise auf der Präsidiumssitzung im Juni. Die Ehrung der Langs, heute Nachmittag, ist immerhin ein Zwischenschritt in die richtige Richtung.

Enthüllung der Gedenktafel: heute, 17 Uhr, Millerntor-Stadion, Hamburg Vom Autor erscheint im Juni ein Beitrag über Otto Wolff, NSDAP-Größe und St.-Pauli-Kicker, in dem Buch „Hakenkreuz und rundes Leder. Fußball im Nationalsozialismus“, hg. von Lorenz Peiffer und Dietrich Schulze-Marmeling, Verlag die Werkstatt, Göttingen