Nach der Beerdigung

„Things we lost in the Fire“ ist der ersten amerikanische Film von Susanne Bier

Unter normalen Umständen würden die beiden nie unter dem gleichen Dach leben. Die Hausfrau und Mutter Audrey existiert in einer ganz anderen Welt als der drogensüchtige Jerry, der nur noch bis zur nächsten Spritze denken kann. Aber nachdem Audreys Ehemann Brian bei dem Versuch, auf der Straße einen Streit zu schlichten, erschossen wird, begegnen sich die beiden bei der Beerdigung, denn Jerry war dessen bester Kumpel. Und obwohl Audrey diese Freundschaft nie billigte, sieht sie jetzt in seinen Augen etwas, was sie dazu bringt, ihn spontan dazu einzuladen, in einen freien Raum neben ihrer Garage einzuziehen.

In dieser frühen Sequenz des ersten amerikanischen Films der dänischen Regisseurin Susanne Bier ist dieses Blicken in die Augen des anderen noch extrem effektiv. Tatsächlich gehören ja Blicke zu den Geheimwaffen des Kinos, denn solch ein simpler Trick wie die Nahaufnahme eines Augenpaares kann mehr Emotionen auslösen als der raffinierteste melodramatische Dreh. Bette Davis war keine große Schönheit, aber ihre Augen wurden nicht umsonst in einem Popsong verewigt. Mit Halle Berry und Benicio Del Toro hatte Bier hier zwei Oscar-prämierte Filmstars vor der Kamera, die beide virtuos mit den Augen arbeiten können, und da hat sie wohl ein wenig das Maß verloren, denn spätestens vom Beginn des zweiten Aktes an kann der aufmerksame Zuschauer ziemlich präzise vorausahnen, wann der Schnitt oder noch öfter der Schwenk der Handkamera hin zum extremen close-up eines Augenpaares kommen wird. Diese stilistische Ungeschicklichkeit ist deshalb so auffällig, weil Bier von ihr abgesehen alles richtig gemacht hat.

Als dänische Filmemacherin ihrer Generation konnte sie es kaum vermeiden, international mit einem Dogma-Film zu reüssieren. Aber „Open Hearts“ offenbarte schon ihre romantische Ader, die dann bei den sowohl künstlerisch wie auch kommerziell erfolgreichen Dramen „Brothers“ und „Nach der Hochzeit“ immer stärker pulsierte. Anders als ihre Kollegin Lone Scherfig ging sie nach Hollywood, wo sie das Glück hatte, nicht etwa wie andere zuerst das Remake von einem ihrer Filme machen zu müssen (siehe Hanekes ‚Funny Games U.S.‘), sondern ein wie für sie maßgeschneidertes Originaldrehbuch inszenieren zu dürfen. Wie in „Brothers“ wird von seelisch verletzten Menschen erzählt, die im anderen eine verwandte Einsamkeit spüren. Auch hier wird ein Einzelgänger in eine Familie hineingestoßen, in der er langsam lernt, Verantwortung zu übernehmen und durch die ein neuer Weg zumindest vorstellbar wird. Wie glücklich die 11 Jahre lange Ehe von Audrey und Brian war, zeigt Bier in eingestreuten Rückblenden, die zuerst ein wenig gewöhnungsbedürftig sind, aber bald Sinn machen, weil sie deutlich machen, wie groß ihr Verlust ist. Dass Halle Berry nicht nur als Bond-Girl gut im Bikini aussieht, sondern auch solche Rollen stemmen kann, hat sie in „Monsters Ball“ bewiesen. Hier verkörpert sie nun glaubwürdig eine ähnlich komplexe Figur, die übrigens im Drehbuch gar nicht als Afro-Amerikanerin angelegt ist. Wie Morgan Freeman in „Seven“ bekam sie den Part unabhängig von der Hautfarbe, und das ist immer noch alles andere als selbstverständlich. Benicio Del Toro wurde gerade in Cannes für die Rolle des Che Guevara ausgezeichnet. Wenn man ihn hier nun als Jerry so intensiv mit seiner Sucht und seinen inneren Dämonen kämpfen sieht, spürt man, dass er jede Auszeichnung für seine Schauspielkunst verdient hat, auch wenn alle Kritiker schreiben, Soderbergs Film sei langweilig. Wilfried Hippen