Jüdischer Aktivist Arie Goral: Der Unbequeme

Ohne den Maler, Publizisten Aktivisten Arie Goral gäbe es in Hamburg kein Denkmal für Heinrich Heine, und die Busse trügen Kennzeichen mit "KZ". An diesem Freitag wäre er 100 Jahre alt geworden. Sein Wegbegleiter Michael Nathan findet Gorals Themen hoch aktuell.

Der nie resignierte: Arie Goral 1994 in Hamburg. Bild: privat

Doch, sagt Michael Nathan, er sehe Arie Goral schon kritisch. Jenen jüdischen Künstler und Publizisten, der sich in Hamburg zeitlebens als Mahner präsentierte und am morgigen Freitag 100 Jahre alt geworden wäre. Michael Nathan, heute 71, kannte ihn gut - aber nicht auf Augenhöhe: Goral, der 1996 starb, war fast 30 Jahre älter als er. Das erzeugt, einerseits, Bewunderung. Andererseits die Unfähigkeit, gleichberechtigt zu streiten. "Ich glaube", sagt Nathan, "dass er mich nicht ernst nahm. Ich war für ihn meist der Sohn vom Alten."

Der "Alte" - Michael Nathans Vater - war mit Goral befreundet. Schon im Vorkriegs-Hamburg, bevor der Antisemitismus drückend wurde. 1933 wanderten die Freunde unabhängig voneinander nach Palästina aus: Goral, weil ihm das Leben zu eng wurde. Michael Nathans jüdischer Vater, weil er 1933 aufgrund des "Berufsbeamtengesetzes" seinen Arztposten verlor.

Irgendwann in den Dreißigern trafen sich die Freunde in Palästina wieder: In Rechovot, einem 5.000-Seelen-Dorf, wo rund 300 deutsche Juden lebten. Alle waren vor den Nazis geflohen, manche voller Ideale. "Goral", sagt Nathan, "war Sozialist, bei seiner Ankunft in Palästina auch Zionist. Er hatte klare Vorstellungen vom israelischen Staat und war entsetzt, dass der auch Kriege führte."

Den Krieg von 1948 etwa, in dem Goral als Soldat miterlebte, wie palästinensische Dörfer zermalmt, die Bewohner vertrieben wurden. "Das hat ihn sehr verstört", erzählt Nathan. "Von da an wollte er nur noch weg."

Gorals auch innere Diaspora begann: das Verbleiben zwischen allen Stühlen, verbunden mit der ewigen Suche nach Heimat. Dabei hatte Palästina das eigentlich werden sollen - doch das war es nie, auch nicht für Michael Nathan: "Für die Israelis waren wir Deutsche. In der Schule habe ich oft gehört: Mit dir spiele ich nicht, du bist deutsch. Deutsch war in den 50er, 60er Jahren in Israel verpönt - egal, wer es sprach." Auch für Goral waren die Kreise eng: "Als er beschloss zu gehen, hatte er aufgrund seiner Deutschsprachigkeit begrenzte Kontakte, wechselte von Job zu Job, war in Geldnöten..."

Goral floh erneut. Nach Italien, in die Schweiz. Und wurde Friedensbotschafter wider Willen. Mit den Bildern israelischer Kinder, die er in seiner Kunstschule in Rechovot hatte malen lassen und die er 1953 in München zeigte. "Es war das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass etwas Jüdisches in Deutschland ausgestellt wurde", sagt Nathan.

Die Schau wurde ein Riesenerfolg. Sie ging nach Hamburg, Goral bekam pädagogische Lehraufträge, in Bremen und Hamburg. Und blieb in Hamburg hängen. Dort, wohin er nie hatte zurückwollen. Jetzt schien er angekommen, für seine Vermittlung freundlich belobigt. Aber dabei blieb es nicht. Den Kampf gegen das Verdrängen des Holocaust wurde Lebenselixier jenes Mannes, der als Walter Sternheim geboren war und den Namen Goral - "Schicksal" - in Israel angenommen hatte.

Was kam, wird er nicht bewusst gesteuert haben: die lebenslange Bearbeitung eines Traumas: des Todes seiner Mutter, die 1942 deportiert und in Riga ermordet wurde. Als er 1934 ein letztes Mal vor seinem Exil nach Deutschland kam, besuchte er sie nicht. "Das hat ihm ein Leben lang zugesetzt", erzählt Nathan. Wie mit so etwas fertig werden - und mit der Erkenntnis, dass auch der ersehnte Staat Israel Kriege führt? "Auf fast allen Gemälden Arie Gorals finden sich Ruinen und Flüchtlinge", sagt Nathan. "Die Bilder ist er nie mehr los geworden."

Dabei sei Goral nicht depressiv gewesen. Manisch habe er vielmehr den Finger in die Wunde gelegt und sich gefragt, wie man Deutscher und Jude konnte. Die Frage jüdischer Identität sei bis heute nicht geklärt, sagt Nathan, "weder in Israel noch in den USA". Und nicht unter den russisch-jüdischen Zuwanderern.

Auch die Frage einer respektvollen Gedenkkultur, die Goral umtrieb, bleibt eine offene. Heute - und erst recht in den 50ern, in denen Goral in Hamburg bizarre Verwerfungen vorfand. Etwa den Psychologen Peter Hoffstätter, der den Holocaust als nicht strafbare Kriegshandlung bezeichnete. Goral zeigte ihn an. Sein erster Skandal in Hamburg. Später bemerkte er, dass Hamburger Busse Kennzeichen wie KZ, SS, SA und HJ trugen. Er protestierte, zögerlich lenkte man ein: Die Schilder wurden entfernt, andere Städte zogen nach.

Eitelkeit sei dabei, sagt Nathan, "für Goral kein Thema gewesen. Aber wenn er von etwas überzeugt war, zog er es durch". Vier Jahre hat er für das Heine-Denkmal auf dem Hamburger Rathausmarkt gestritten. Die Umbenennung der Universitätsbibliothek in Carl-von-Ossietzky-Bibliothek erwirkt.

Unbequem sei Goral gewesen, sagt Nathan, "stand sich manchmal selbst im Weg". Trotzdem mag er Goral keine Erstarrung attestieren. Wobei es natürlich stimme, dass Goral unbequem gewesen sei: etwa, wenn er den Linken in den 70ern Antisemitismus vorwarf. "Er hatte sicher in manchem recht", sagt Nathan. "Aber ich hätte das nicht mit dieser Vehemenz kritisiert." Und wirklich in Hamburg angekommen, das sei Goral trotz seines Engagements nie.

Michael Nathan dagegen schon. 1960 ist er aus Israel nach Hamburg gegangen, für drei Monate nur. Sechs Wochen nach seiner Ankunft wurde der SS-Verbrecher Adolf Eichmann aus Argentinien nach Israel entführt. Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery, für dessen Zeitung Haolam Hazeh Nathan schrieb, habe ihn daraufhin um Korrespondenz aus Deutschland gebeten. Nathan lieferte sie - und blieb. Später beriet er Unternehmen, ging als Aufbauhelfer nach Bangladesh. Derzeit arbeitet er an einer Biographie Arie Gorals.

Nein, sagt er, so aufgebracht wie Arie Goral sei er nicht. Auch nicht über das Wiedererstarken der Rechten. "Ich finde das Demokratieverstänndis der deutschen Gesellschaft verlässlicher, als Goral es fand." Und was ist er selbst, Deutscher oder Israeli? "Am liebsten", sagt Nathan und lacht, "würde ich vermeiden, dass man mich das fragt."

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