Polizeieinsatz gegen Fußballfans: Eine Frage der Verhältnismäßigkeit

Die Bremer Polizei muss sich nach ihrem Einsatz beim Bundesligaspiel am Wochenende massive Kritik anhören. Sie hatte für vier Strafanzeigen 234 Fans stundenlang präventiv in Gewahrsam genommen, offenbar unter miserablen Haftbedingungen.

Schon vor dem Spiel WerderBremen gegen Eintracht ging die Polizei massiv gegen die Frankfurter Fans vor. Bild: HEIKO RHODE

Es ist vor allem die Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel, die immer mehr zur Debatte steht. Dass sich die Bremer Polizei beim jüngsten Bundesligaspiel an alle "rechtsstaatlichen Grundsätze" gehalten hat - mittlerweile sind sich selbst die regierenden Grünen nicht mehr so sicher. Das Landesparlament wird sich am Donnerstag mit dieser Frage befassen müssen. Derweil sind aus Frankfurt gleich mehrere Strafanzeigen gegen den Einsatzleiter der bremischen Polizei eingegangen. Selbst der Vorstand der Eintracht Frankfurt Fußball AG verlangt inzwischen ganz offiziell eine "Stellungnahme" vom Bremer Polizeipräsidenten. Die Rede ist von der "unverhältnismäßig hohen Zahl der Gewahrsamnahmen" vor der Partie am Samstag.

234 Eintracht-Fans waren Stunden vor dem Fußballspiel eingekesselt, festgenommen und jedenfalls teilweise mit Kabelbindern gefesselt worden. Doch nur ganze vier von ihnen bekamen am Ende eine Strafanzeige, wegen Sachbeschädigung und zum Teil gefährlicher Körperverletzung. Alle Gefangenen mussten bis 18 Uhr im Polizeigewahrsam ausharren - sie waren, wie Augenzeugen sagen, "über Stunden hinweg wie die Tiere eingepfercht". 13 Mann mussten sich eine acht Quadratmeter große Einzelzelle teilen, berichten mehrere Betroffene, Leitungswasser gab es erst nach vier Stunden, von Essen oder einer wärmenden Wolldecke in der kalten Zelle ganz zu schweigen. Und weil selbst bei Überbelegung die Zellen nicht ausreichten, mussten gut 50 Fans mit einem Gefängnisbus vorliebnehmen. Mehrere Fan-Betreuer der Eintracht kritisierten den Polizeieinsatz als "martialisch" und "bar jeder Verhältnismäßigkeit". Die Frankfurter Neue Presse schrieb von einem "Massen-Verhaftungs-Wahn", von "Willkür" der Polizei, von "schikanösen" Methoden. Und die Fan- und Förderabteilung der Eintracht kritisiert die "Aufweichung von Grundrechten". Dafür eigne sich der Fußball "exzellent".

180 der 234 Festgenommenen werden von den Sicherheitskräften den "Ultras" zugerechnet, weitere 30 den Hooligans. Die Übrigen sind demnach gemeine Fans. Von allen zusammen ging ein "nicht kontrollierbares Gefahrenpotenzial aus", sagt die Bremer Polizei. Gut ein Viertel des festgesetzten Personenkreises, 52 an der Zahl, seien laut Polizei bei Fußballspielen schon mal als "Gewalttäter" in Erscheinung getreten. Man habe verhindern müssen, dass die "gewaltbereiten Fans unkontrolliert in die Innenstadt einsickern".

Uhrzeit 9.30 Uhr, Ort: Sielwall.

"Für die dort formierten Einsatzkräfte war deutlich eine aggressive Stimmung aus dem Aufzug spürbar. Verbal äußerte sich die Stimmungslage aus den lautstark skandierten Sprüchen: ,Wo sind die Bremer Ultras, kommt her und ihr kriegt aufs Maul' und ,"Die Bullen können uns nichts, wir bleiben zusammen und machen was wir wollen!' Es war offenkundig, dass man es darauf anlegte, Bremer Fans zu finden und sich mit diesen körperlich auseinander zusetzen. Ansprechversuche der Einsatzkräfte […] wurden mit Beleidigungen quittiert. Nachdem zunächst ein äußerst lauter Böller an der Sielwallkreuzung zur Explosion gebracht worden war, ging die Gruppierung in breiter Front über die Fahrbahn […]. [Sie wurde] gestoppt und eingeschlossen. Um zu verhindern, dass die gewaltbereiten Fans unkontrolliert in die Bremer Innenstadt einsickern und damit ein unkalkulierbares Risiko für einkaufende Bürger und Besucher des Weihnachtsmarktes darzustellen drohten, entschloss sich der Einsatzleiter zu dieser Maßnahme. Darüber hinaus hätte es ohne Zweifel beim Aufeinandertreffen mit Bremer Fans eine körperliche Auseinandersetzung gegeben. Aus diesem Grunde bestand zur Verhinderung unmittelbar bevorstehender Begehung von schweren Straftaten keine andere […] Möglichkeit, als die Ingewahrsamnahmen anzuordnen."

Als Indiz wertet die Polizei vor allem "einen äußerst lauten Böller" sowie feindselige Sprüche wie: "Die Bullen können uns nichts, wir bleiben zusammen und machen, was wir wollen", oder: "Wo sind die Bremer Ultras, kommt her und ihr kriegt aufs Maul." Die Beamten seien bespuckt und geschlagen worden, so ein Polizeisprecher. Zudem seien Böller sowie Signalmunition nebst Abschussgeräten gefunden worden.

Doch es gibt auch ganz andere Stimmen, aus Frankfurter Fankreisen, von Sozialarbeitern, die auch vor Ort waren - und sagen, dass es "keine Gewalt" gegeben habe, nur ein paar Rufe wie "Randale, Bambule, Frankfurter Schule", jedenfalls nichts, was jenseits des "durchaus Üblichen" gelegen habe. Gesprächsversuche habe die Polizei abgeblockt, sagen sie, stattdessen alle Verdächtigen präventiv inhaftiert. Augenzeugen berichten zudem, dass die Polizei zur Halbzeitpause im Stadion "wahllos" auf Fans eingeschlagen habe, auch auf Frauen, nachdem zuvor offenbar "unschöne Worte" gefallen und Plastikbecher geflogen waren. Frankfurter Ultras klagen über "außerordentlich brutales" Vorgehen der Polizei.

Werders Fanbeauftragter Dieter Zeiffer mag den Polizeieinsatz nicht kommentieren, hat die Frankfurter Fans im Stadion jedoch als "unerhört aggressiv" erlebt. Mehrere Hundert Frankfurter seien schon frühmorgens in die Stadt gekommen, um "Unruhe" zu stiften und "provokativ" zu wirken. Von "Randale" mag er dabei nicht sprechen. Jedoch sei einé szenebekannte Ultra-Frau aus Bremen auf Aufklebern öffentlich, persönlich und massiv mit Gewalt bedroht worden.

Mittlerweile sind fast ein Dutzend Anzeigen wegen Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung gegen die Polizei eingegangen. Der innenpolitische Sprecher der Bremer Grünen, Björn Fecker, wollte den Polizisten "keinen Vorwurf machen". Jedoch müsse der Einsatz "kritisch hinterfragt" werden: "Wer Menschen massenhaft einkesselt und inhaftiert, muss die Verhältnismäßigkeit sehr gut begründen können." Das Innenressort wollte sich gestern noch nicht zu den Vorwürfen äußern.

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