Schwuler Aktivist Steve Behrmann über Anfeindungen: "Einfach die Straßenseite wechseln"

An diesem Wochenende wird in Hamburg der Christopher Street Day gefeiert. Immer noch gebe es für Schwule kaum Go-Areas, sagt der Aktivist Steve Behrmann. Die gefühlte Bedrohung nehme wieder zu.

Aktionen wie der Christopher Street Day 2008 in Hamburg machen auf Gewalt gegen Schwule aufmerksam. Trotzdem steigt die Zahl der Übergriffe. Bild: dpa

taz: Herr Behrmann, Sie betreuen im Hamburger Magnus Hirschfeld Centrum unter anderem Opfer antischwuler Gewalt. Würden Sie sagen, dass derartige Taten wieder zugenommen haben?

Steve Behrmann: Dazu gibt es in Hamburg keine verlässlichen Daten. Von der Polizei werden antihomosexuell motivierte Taten nicht gesondert erfasst. Ich kann aber sagen, dass Beratung von Gewaltopfern heute einen höheren Prozentanteil unserer Arbeit ausmacht als noch vor zwei Jahren.

Gibt es No-Go-Areas für Schwule in Hamburg?

Beginn des diesjährigen Cristopher Street Days war bereits am 1. August. Im Theaterzelt der "Fliegenden Bauten" gab es eine große Eröffnungs-Gala.

Der Höhepunkt des CSD-Programms ist die Parade am Samstag. Die regenbogenfarbene Demo startet um 12 Uhr in der Langen Reihe im Stadtteil St. Georg. Mehr als 55.000 Menschen werden auf dem CSD erwartet

Der Straßenumzug endet am Jungfernstieg und Ballingdamm und geht dort in das CSD Straßenfest über, wo bis Sonntagabend gefeiert wird. JV

Steve Behrmann, 45

der Diplompädagoge leitet die Beratungsstelle des Hamburger Magnus Hirschfeld Centrums für homosexuelle Männer und Frauen Foto: privat

Ich würde eher sagen, dass es nur wenige Go-Areas für Schwule gibt. Öffentlich Händchenhalten geht eigentlich nur auf St. Pauli oder in St. Georg. In Stadtteilen wie Wilhelmsburg oder Mümmelmannsberg ist das unvorstellbar.

Mit was für Diskriminierungen werden Sie konfrontiert?

Die Diskriminierungen laufen heute auf einer ganz anderen Ebene ab als früher. Das hängt vor allem damit zusammen, dass sich die Rechtsnormen geändert haben. Früher konnten Schwule öffentlich diffamiert werden. Heute ist das nicht mehr möglich. Ich kann aber nicht erkennen, dass sich auch wirklich etwas in den Köpfen der Leute getan hat. Die Diskriminierungen werden nur subtiler verpackt.

Die Texte mancher Rapper sind nicht gerade besonders subtil.

Ja, und es ist nach wie vor unbegreiflich, dass es außer ein paar Schwulenverbänden kaum jemanden kümmert. Wären die Texte judenfeindlich würde es einen großen Aufschrei geben. Es gibt da in unserer Gesellschaft eine merkwürdige Sensibilität dafür, welche Minderheiten schützenswürdig sind.

Werfen Sie da nicht zwei völlig verschiedene Gruppen in einen Pott - die eine definiert sich über ihren Glauben und die andere über ihre Sexualität?

Die Nationalsozialisten haben da auch keinen Unterschied gemacht.

Spielt das eine Rolle?

Es sind beides Minderheiten in einer Mehrheitsgesellschaft, die eine lange Geschichte der Diskriminierung und Verfolgung erfahren haben, von der die NS-Verfolgung nur der Gipfel war. Wodurch die Diskriminierungen, die Verfolgungen begründet werden, ist doch letztendlich egal.

In einem früheren Interview haben Sie die wahrscheinlich antihomosexuell motivierte Sachbeschädigung eines Schwulenladens auf St. Pauli mit dem Anschlag auf das Holocaustmahnmal in Berlin verglichen. Wie meinten Sie das?

In beiden Fällen handelte es sich nicht nur um Sachbeschädigung, sondern um politische Taten. Ein gezielter Angriff auf einen Schwulenladen ist ein Angriff auf die schwule Identität der Ladenbesitzer und auf das Sicherheitsempfinden aller Schwuler im Viertel. Für viele stellt so etwas ein wiederkehrendes Trauma dar. Assoziationen zu früheren Diskriminierungserfahrungen kommen hoch. Es entsteht der Eindruck, dass das Pendel wieder zurückschlagen könnte.

Wie schätzen sie das subjektive Sicherheitsempfinden in der Szene ein?

In St. Georg beispielsweise haben viele das Gefühl, dass die antischwule Atmosphäre zunimmt, dass sie bald in "ihrer Langen Reihe" nicht mehr Hand in Hand gehen können.

Woran liegt das?

Das Viertel bleibt ein sozialer Brennpunkt. Die Armut wächst. Es leben dort viele Migranten mit traditionellen Männerbildern.

viele Migranten aus islamischen Ländern. Würden sie sagen, dass es vermehrt auch zu religiös motivierten Taten gegen Homosexuelle kommt?

So weit würde ich nicht gehen. Ich glaube, die Ablehnung gegen Homosexuelle lässt sich eher auf die kulturelle Sozialisation zurückführen. Die Religion wird meist nur benutzt, um vorhandene Normen zu begründen.

Wie können Homosexuelle sich vor Gewalt schützen?

Man sollte immer ein gesundes Risikomanagement pflegen. Gefährliche Situationen möglichst vermeiden. Sieht man von weiten eine bedrohliche Gruppe Jugendlicher, ist es am besonnensten, einfach den Bürgersteig zu wechseln.

Den Bürgersteig wechseln? Sollte man das wirklich machen?

Das muss natürlich jeder mit sich ausmachen. Ich glaube aber, genau hier zeigt sich wieder das Grunddilemma eines jeden Homosexuellen: Einerseits hat man das Gefühl und Rechtsempfinden, gleich zu sein, anderseits aber das Wissen, anders zu sein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.