Dubiose Evangelisierung

Die Organisatoren bezeichnen das „Christival“ in Bremen als „das christliche Großereignis des Jahres“. Unter der Schirmherrschaft von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) wird es auch die Abtreibung verteufeln

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Ursula von der Leyen bleibt Schirmherrin. Beim „Christival“ Ende April in Bremen handelt es sich den Veranstaltern zufolge um „das christliche Großereignis des Jahres“ – dem Katholikentag zum Trotz. 20.000 vor allem jugendliche Besucher werden an der Weser erwartet. Und die Debatten übers Programm haben in Berlin nicht zu Verunsicherungen geführt: „Man sehe keinen Anhaltspunkt dafür“, so ein Sprecher des Familienministeriums zur taz, „dass die Veranstaltung einen vom Gedanken der Vielfalt und Toleranz geprägten Rahmen verlässt.“ Über die Seminarthemen könne man sich nicht äußern: „Bunt ist die Welt“, fasst der Sprecher das Programm zusammen, bei rund 400 Schirmherrschaften jährlich sei es nicht möglich einzelne Inhalte zu kontrollieren.

Wirklich nicht? Tatsache ist: Am 9. Januar war bereits eines der über 200 Seminare abgesagt worden: „Homosexualität verstehen – Chance zur Veränderung“. Einen Tag zuvor hatte Grünen-Politiker Volker Beck gefordert, Ministerin von der Leyen müsse „entweder die Absage dieses ‚Homosexuellenheilungsseminares‘ durchsetzen oder ihre Schirmherrschaft zurückgeben“.

Homosexuellen-Heilungsseminar – so sei das doch gar nicht gemeint gewesen, erläutert Christival-Sprecher Stephan Volke, „da war die Ankündigung unsauber formuliert“. Auch müsse man immer im Auge behalten: Es handele sich um eine 90-Minuten-Veranstaltung innerhalb eines dichten Programms von fünf Tagen Dauer. Dass man jetzt aber auch das Seminar 642 cancelt, daran sei nicht zu denken, so Volke. Der Titel: „Sex ist Gottes Idee – Abtreibung auch?“

Davon, dass Referent Markus Arnold sie mit Nein beantwortet, ist auszugehen: Arnold reist als Vertreter des Vereins „Die Birke“ aus Heidelberg nach Bremen. Ankündigen lässt er sich als „Schwangerschaftskonfliktberater“ – aber wahrscheinlich ist dieser Titel nicht geschützt: Vor rund zehn Jahren hatte „Die Birke“ eine Anerkennung beim baden-württembergischen Sozialministerium beantragt und nicht erhalten – weil er nicht im Sinne des Gesetzes berät.

Anruf in Heidelberg: Nein, Herr Doktor Arnold, „den erreichen Sie heute nicht“. Das Anliegen? Wird notiert. Plötzlich schaltet der Gesprächspartner auf Offensive um: Wie man selber über Abtreibung denke? „Haben Sie Kinder?“ – Fragen in unbarmherzigem Stakkato. „Sind Sie der Meinung, man darf Frauen und Kindern Gewalt antun?“ Aber nein. „Wohin soll sich eine Frau wenden, die zur Abtreibung gedrängt wird?“ Oh mein Gott, ganz gewiss nicht an „Die Birke“: Von etlichen Fällen, in denen junge Frauen nach einer Erstberatung durch den Verein „völlig aufgelöst zu unserer Heidelberger Geschäftsstelle gekommen sind“ berichtet Manuela Rettig, die baden-württembergische pro-familia-Geschäftsführerin. „Die Birke sei „eindeutig den so genannten Lebensschützern zuzurechnen“. Daran lässt auch die Selbstauskunft nicht zweifeln: Zwar verheißt die Vereins-Homepage ein „ergebnisoffenes“ Beratungsgespräch. Ehrlicherweise müsste aber eingeschränkt werden, dass es sich nur zu einem einzigen Ergebnis öffnet: „Im Schwangerschaftskonflikt“, so wird man dort belehrt, „stellt die mögliche Abtreibung die Gefahr dar, die Annahme des Kindes hingegen die Chance.“ Das gelte auch für die Folgen einer Vergewaltigung: „Dem ersten lebenslangen Trauma“ würde durch den Abbruch „ein zweites“ hinzugefügt. „Das Leid der Frauen wird damit missachtet“, rügt Annegret Siebe von pro familia in Bremen den Ansatz: Sie nennt das nun angekündigte Seminar sogar „bedrohlich“.

„Abtreibung ist ein kontroverses Thema“, rechtfertigt Christival-Geschäftsführer Heiko Linke den Programmpunkt. „Wir halten es für wichtig, dass es bei uns zu Sprache kommt.“ Wieso man dafür ausgerechnet auf den dubiosen Heidelberger Verein verfallen ist, obwohl es doch auch anerkannte christliche Stellen gibt? Genau könne er das momentan nicht sagen: „Wir ziehen gerade mit dem Büro von Marburg nach Bremen um.“ Er hebt hervor, dass die Referenten nicht nur ihre Fahrtkosten sondern obendrein den normalen Teilnehmerbeitrag bezahlen müssten. Einleuchtend: Das sorgt dafür, dass man Dozenten findet, die ihre Lehre mit besonderem Eifer verkünden.

TeilnehmerInnen des Christivals werden Anfang Mai in Bremen an den Türen klingeln, in Supermarktschlangen über Jesus erzählen und in Straßenbahnen Lieder anstimmen: „Die stehen für etwas offensivere Evangelisierung“, sagt Renke Brahms, Schriftführer der Bremer Evangelischen Kirche (BEK). Er ist zuversichtlich, dass die Hausbesuche „nicht ins Aufdringliche ausarten“. Die BEK sei nicht Gastgeber, stellt Brahms klar. Genau wie von der Leyen sitzt auch er im Christival-Kuratorium, genau wie sie hat er mit dem Programm aber nichts zu tun. „Im Grundsatz“, sagt er, „begrüßen wir, dass die Veranstaltung hier stattfindet.“