Mehr Wert, weniger Lohn

Der Mindestlohn für Briefträger gilt seit Anfang des Jahres. Private Firmen versuchen nun, ihn zu umgehen: So nennt etwa die Bremer „Nordwest-Mail“ ihre Postboten neuerdings „Mehrwert-Briefdienstleister“ – und zahlt bestenfalls 7,50 Euro pro Stunde

Es ist eine Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts gegen den Post-Mindestlohn, der jetzt den Konflikt zwischen CDU und SPD um das Thema Mindestlohn an sich aufheizt: Unionspolitiker haben Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) am Dienstag aufgefordert, Konsequenzen aus dem Richterspruch zu ziehen. Am Freitag hatte das Gericht den von Scholz für allgemeinverbindlich erklärten Post-Mindestlohn in erster Instanz für nichtig erklärt, weil er Tarifvereinbarungen außer Kraft setze. Scholz hat Berufung angekündigt. Die Post-Konkurrenten forderten dagegen die sofortige Aussetzung der Mindestlohn-Verordnung bis zur endgültigen Klärung. Sollte durch die „nichtige Norm“ Schaden für die privaten Post-Dienstleiter entstehen, müsse dafür der Staat haften, erklärten sie. Ein Ministeriumssprecher sagte allerdings, so lange Scholz’ Berufung gegen das Urteil laufe, werde es keine Veränderungen geben: „Der Post-Mindestlohn gilt.“  TAZ

VON KAI SCHÖNEBERG

Sie hätten ja auch stempeln gehen können. Deshalb unterschrieben fast alle der rund 250 Zusteller und Sortierer des Bremer Postdienstleisters Nordwest-Mail Anfang Januar eine „Ergänzungsvereinbarung“ zu ihrem Arbeitsvertrag. Sie nehmen unter der Marke „Citipost“ Briefe an, sortieren sie und tragen sie mit ihren blauen Fahrrädern aus. Bislang arbeiteten sie auf dem Papier schlicht als „Mitarbeiter in der Postzustellung“. Nun erledigen sie „Aufgaben im Bereich der Mehrwertdienstleistung“. Das hört sich nicht nur sperriger an als Postbote: Mit der Zusatzvereinbarung verlieren die „Mehrwert-Briefdienstleister“ auch noch 2,30 Euro Einkommen – pro Stunde.

Gegen den „Retortenbegriff“ und seine Folgen wettert die Gewerkschaft Ver.di. „Es geht eigentlich gar nicht, aus einem Postzusteller einfach einen Mehrwertdienstleister zu machen“, sagt Ver.di-Sekretär Thomas Warner. Für ihn ist die Umbenennung schlicht ein rechtlicher Trick der Nordwest-Mail, die zur Bremer Tageszeitungen AG und zur niederländischen TNT gehört, um das Entsendegesetz zu umgehen. Seit Anfang des Jahres erhalten danach alle Briefzusteller einen Mindestlohn in Höhe von 9,80 Euro – tarifvertraglich vereinbart zwischen Ver.di und der Deutschen Post AG. „Die Leute haben doch nur unterschrieben, weil sie Angst haben, keinen neuen Vertrag zu bekommen“, sagt Wolfgang Evers von Ver.di: Die meisten der blauen Postillione erhalten alle drei Monate einen neuen Vertrag und müssen auf Verlängerung hoffen. Die Nordwest-Mail ist kein Einzelfall. Evers nennt weitere schwarze Schafe unter den privaten Postzustellern, die ähnlich agieren wie die Bremer: die Oldenburger Mailexpress, die Regiopost in Wittmund oder die Osnabrücker Citipost.

Mittlerweile ist der Streit, der auch die Koalitionäre von CDU und SPD in Berlin entzweit, vor dem Bremer Arbeitsgericht gelandet: Hier klagt Ver.di für einen der „Mehrwertdienstleister“ auf Einhaltung des Tarifvertrags. Immerhin verdient er bei einer 40-Stunden-Woche Monat für Monat rund 400 Euro brutto weniger, als ihm nach dem neuen Mindestlohn zustehen würde. Da dementsprechend weniger Sozialabgaben anfallen, überprüften auch schon Zollfahnder das Bremer Firmengelände: Verdacht auf Schwarzarbeit.

„Das ist keine Trickserei“, sagt hingegen Nordwest-Mail-Geschäftsführer Matthias Hansen zur taz. Seine Firma biete andere Dienste an, die der Marktführer Post „nicht imstande ist zu leisten“ – also „Mehrwertdienste“. Deshalb, betont Hansen, würden für die Citipost-Leute auch nicht die Regelungen des Post-Mindestlohns gelten. Anders als die gelbe Post erledigten seine Beschäftigten Zustellungen am selben Tag oder holten bis 17 Uhr Briefe ab und lieferten sie bis 12 Uhr am nächsten Tag aus. Zudem: Die Nordwest-Mail habe für die „Mehrwert-Dienstleistungen“ eine Lizenz von der Bundesnetzagentur erhalten – so wie 700 andere private Postfirmen.

„Natürlich zahlen wir nach Tarifvertrag“, erklärt Hansen. Und verweist auf die Vereinbarung zwischen dem Verband der privaten Postdienstleister und der Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste (GNBZ). Gegen die GNBZ hat Ver.di am Dienstag bei der Kölner Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen „Anfangsverdacht im Geschäftsverkehr“ eingereicht. Konkret: Bestechung.

Für Ver.di liegt der Verdacht nahe, dass die kleine Konkurrenz nur eine Gewerkschafts-Tarnadresse der privaten Post-Arbeitgeber ist: eine eigens im vergangenen Jahr aus dem Boden gestampfte Gewerkschaft, um gemeinsam gegen den Post-Mindestlohn zu Felde zu ziehen. Die GNBZ hat mit dem privaten Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste tarifvertraglich Löhne zwischen 6,50 und 7,50 Euro für ihre Zusteller ausgehandelt. Laut Ver.di soll die GNBZ aber auch Spenden von den Arbeitgebern erhalten; die privaten Post-Bosse sollen sogar ihre Arbeitnehmer dazu aufgefordert haben, in die neue Gewerkschaft einzutreten.

Das, sagt Geschäftsführer Mattahias Hansen, habe es bei Nordwest-Mail nicht gegeben. Sogar einen Betriebsrat habe sein Betrieb. Außerdem verweist er auf die ungleiche Wettbewerbssituation zwischen den neuen Privaten und dem Fast-Monopolisten Deutsche Post World Net: Seine Firma bearbeite täglich bis zu 35.000 Briefe in Bremen, der Marktanteil liege bei unter fünf Prozent. „Das“, sagt Hansen, „ist nicht mal mehr ein Kampf David gegen Goliath.“

inland SEITE 7