Rechte Szene wird radikaler

In Kiel häufen sich die Übergriffe von Neonazis. Bisher gingen vor allem Fensterscheiben zu Bruch. Das Innenministerium sieht ein „enges Miteinander“ von NPD und gewaltbereiter Szene

VON ANDREAS SPEIT

In der Nacht zu Montag, um 2.45 Uhr, flogen große Steinen durch die Schaufensterscheiben des Buchladens „Zapata“ in Kiel. Vier Steine, die die Scheiben des Ladens zerstörten. Anwohner seien von dem lauten Knall geweckt worden, berichtet Harald Mücke, der in dem linken Buchladen arbeitet. Die Anwohner hätten aus dem Fenster geschaut und mehrere Täter weglaufen sehen. „Irgendwie war so was zu erwarten“, meint Mücke.

Der Buchladen war nicht das einzige alternative Projekt in Kiel, das in den vergangenen Tagen angegriffen wurde. „Die Nazi-Gewalt in der Stadt hat einen neuen Höhepunkt erreicht“, sagt Julia Schmidt von der „Anti-Nazi-Kooperation“. In der Nacht zum vergangenen Samstag waren sämtliche Scheiben der Arbeitsloseninitiative in der Iltisstraße eingeschlagen worden. Anwohner hätten vier Neonazis beobachtet, sagt Schmidt. Drei weitere Anschläge waren in der Nacht zum Donnerstag erfolgt, zu Bruch gingen dabei die Fensterscheiben eines Kinderladens und einer Wohnung. Vor der Alten Meierei randalierten Unbekannte, sie beschädigten Fahrräder und Lampen.

Parallel dazu hatte die Szene aus NPD und Freien Kameradschaften in den letzten Tagen offensiv Flugblätter und Schulhof-CDs verteilt. Die NPD hofft, bei der Kommunalwahl auch in Kiel Mandate zu erringen.

Am Sonntag hatten über 250 Menschen in der Landeshauptstadt gegen rechtsextreme Übergriffe protestiert (taz berichtete). Bereits bei der Vorstellung des Landesverfassungsschutzberichts am 9. April hatte Schleswig-Holsteins Innenminister Lothar Hay (SPD) zugegeben, dass die Rechtsextremen „aktionistischer“ eingestellt seien. Eine wichtige Veränderung sei das enge Miteinander von Neo-Nationalsozialisten und NPD-Landesverband. Der „aktionistische Flügel“, so Hay, stelle wegen seiner latenten Gewaltbereitschaft eine besonders hohe Gefahr dar. Bereits 2005 und 2006 belegte Schleswig-Holstein allerdings Platz 5 der Bundesstatistik rechtsextremer Straftaten.

Das „enge Miteinander“ der rechten Szene findet in Kiel in der Preetzerstraße statt. In einem Haus haben Rechtextreme zwei Wohnungen. Die NPD-Kandidaten bei der Kommunalwahl, Thomas Krüger und Nils Holm, leben dort. An „Führers Geburtstag“, dem 20. April, feierten in dem Haus über 30 Kameraden. „Die haben das ganze Haus in Beschlag genommen“, berichtet ein Augenzeuge. Reichskriegsfahnen hingen aus dem Fenster.

„Das Haus hat sich zu einen Zentrum der Kieler-Szene entwickelt“, sagt Schmidt von der „Anti-Nazi-Kooperation“. Mehrmals seien die Rechten nach Wahlkampfaktionen dort eingekehrt.

Die Übergriffe der letzten Tage werden derzeit von der Polizei untersucht. „Die Ermittlungen wegen Sachbeschädigung laufen“, sagt Oberstaatsanwalt Uwe Wick. „Aus ermittlungstechnische Gründen“ könne er keine weiteren Auskünfte geben.