Erfolgreich gegen Rechts gewehrt

Mehr als 10.000 Menschen blockieren den Marsch von 800 Neonazis durch Hamburg-Barmbek. Polizei räumt Ausweichroute frei. Volksfestatmosphäre aber auch Wasserwerfer-Einsatz. Rechtsradikale attackieren Polizeibeamte und Journalisten

VON ANDREAS SPEIT
UND PETER MÜLLER

„Ein Stadtteil wehrt sich.“ Dieser Slogan ist am 1. Mai in Hamburg-Barmbek mit Leben erfüllt worden. Mehr als 10.000 Menschen demonstrierten gegen einen Neonazi-Aufmarsch und blockierten damit die geplante Demonstrationsroute. Die 800 Neonazis konnten trotz des Einsatzes von 1.600 Polizisten erst mit drei Stunden Verspätung ihren Marsch für „Arbeit und soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen“ auf einer Alternativroute in entgegengesetzter Richtung beginnen.

Erst am Vorabend war die Demonstration des „Bündnisses gegen Rechts“ – zu der auch die DGB-Gewerkschaften und die Kirchen aufgerufen hatten – vom Oberverwaltungsgericht genehmigt worden. Die Polizei hatte dem Bündnis die gewünschte Route in Barmbek-Nord verweigert, da dort bereits die NPD ihren Umzug angemeldet hatte. Das Bündnis sollte in die Trabantenstadt Steilshoop verbannt werden. Doch weil sich in Barmbek-Nord ein Bündnis von Bürgervereinen, Kirchengemeinden sowie viele Gewerbetreibende dem Protest anschlossen und dazu aufriefen, während des Nazi-Marsches Kneipen und Cafés aufzusuchen, sah das Gericht ein Marschverbot wohl nicht mehr als verhältnismäßig an.

Und so setzte sich gegen 12 Uhr ein buntes Völkchen in Bewegung. Angeführt von der Theatertruppe Apfelfront, die einen SS-Trupp karikierte, der exotische Früchte aus deutschen Läden verbanden wollte. „Was gibt der deutschen Jugend Kraft – Apfelsaft.“

Der Demozug kam nur sehr langsam voran – was natürlich nicht ganz unerwünscht war. Immer wieder stoppte er zu Zwischenkundgebung. Dort erinnerte der Schauspieler Rolf Becker daran, dass vor 75 Jahren der damalige ADGB es begrüßte, dass die Nazis den 1. Mai zum nationalen Feiertag erklärten. Einen Tag später – heute vor 75 Jahren – wurden die Gewerkschaftshäuser gestürmt und die Gewerkschaften verboten.

An der Straße Alte Wöhr, wo der Nazimarsch starten sollte kam die Demo endgültig ganz zum Stehen. Dort wurde die Parole „Barmbek nimmt Platz“ in die Tat umgesetzt. Aber auch rund um den S-Bahnhof Alte Wöhr stellten sich Protestler den Rechten entgegen. Um den Neonazis überhaupt die Möglichkeit zu geben, sich vor dem Bahnhof zu versammeln, setzte die Polizei Wasserwerfer ein.

Schon die Anreise von NPD und „Freien Kameradschaften“ (FK) verlief nicht wie geplant. Die bereitgestellte S-Bahn konnte den Bahnhof nicht anfahren. Auf den Schienen brannten Autoreifen. Mit eigens gemieteten Bussen mussten die Neonazis erst von woanders eingesammelt, und dann zur alten Wöhr gebracht werden. Kaum vor Ort, entlud sich ihre angestaute Wut. Aus dem Neonazitross wurden Gegendemonstranten und Polizeibeamte angegriffen.

Vor allem Leute aus der FK-Szene sind angereist. Zu deren Überraschung lässt die Polizei den NPD-Landeschef Jürgen Rieger zuerst nicht zu seinen Kumpanen. „Ich bin Herr Rieger“, sagt er verwundert. Ein Beamter meint kühl: „Wer ist Herr Rieger?“

Derweil klirren die Scheiben der Reisebusse der Neonazis, die in einer Parallelstraße stehen. Kein Bus bleibt unbeschädigt. FK-Kader und NPD-Bundesvorstandsmitglied Thomas Wulff wettert: „Wir lassen uns von niemanden aufhalten. Als Deutsche kämpfen wir für Deutschland.“ Überall verstellen Demonstranten den Neonazis den Weg.

Nach Verhandlungen mit der Marschanmelderin Inge Nottelmann ist aber klar: Sie dürfen marschieren. Wasserwerfer vorneweg, räumen Beamte nach und nach die neue Route frei. Mehrere Neonazis nutzen die Situation. Aus dem Marschgruppen greifen sie Journalisten an. Einen Reporter verprügeln sie, entwenden die Kamera. Schon vorher attackierten Rechte einen NDR-Kameramann als er ein Interview mit dem FK-Führer Christian Worch aufnahm. „Berufsrisiko“ meinte Worch.