Zehn Jahre für den Tod von Kevin

Wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Misshandlung Schutzbefohlener wurde gestern der 43-jährige Ziehvater des Kleinkindes Kevin verurteilt. Zwei Jahre davon soll der Drogenabhängige in einer geschlossenen Entzugsanstalt verbringen

AUS BREMEN EIKEN BRUHN

Zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilte gestern das Bremer Landgericht den Ziehvater des zweijährigen Kevin, der am 10. Oktober 2006 tot in dessen Kühlschrank gefunden worden war. Anders als der Staatsanwalt sah das Gericht keine Anzeichen für Totschlag oder gar Mord, sondern für eine Körperverletzung mit Todesfolge sowie die Misshandlung Schutzbefohlener.

Bernd K. habe nicht gewusst, dass Knochenbrüche zum Tod führen können, begründete der vorsitzende Richter Helmut Kellermann das Urteil. Er habe keinen Zweifel daran, dass der 43-Jährige dem Kleinkind die zahlreichen Verletzungen zugefügt hat, von denen einer, der Bruch des linken Oberschenkels, eine Fettembolie auslöste. Dabei tritt Knochenmark in den Blutkreislauf, Kevins Herz versagte als Folge. Kellermann wies die These des Staatsanwalt zurück, nach der Bernd K. Kevins nahenden Tod hätte erkennen müssen. Zwar seien dem Gerichtsmediziner zufolge 15 Minuten bis 24 Stunden zwischen Bruch und Eintritt des Todes vergangen. Eine Fettembolie kündige sich aber nicht lange an, so Kellermann. „Das geht ruck-zuck.“ Dass Bernd K. das Kind nicht ins Krankenhaus brachte, habe einen anderen Grund gehabt: „Er hatte Angst, dass er ihm weg genommen wird.“ Dieses Verhalten sei typisch für den Angeklagten. Kevin habe weder laufen noch sprechen können, aus „Eigensucht“ habe Bernd K. ihn trotzdem bei sich behalten.

Fünf Mal wurde Kevin mehrere Knochen gebrochen. Nie aber, betonte Kellermann, seien Schädelverletzungen festgestellt worden. Diese fänden sich, wenn der Tod von Babys und Kleinkindern billigend in Kauf genommen wird. Es gebe keinerlei Anzeichen dafür, dass Bernd K. aus einer sadistischen Neigung heraus gehandelt habe. Und: Er sei mit Kevin nie grob umgegangen sei, im Gegenteil, sein Verhalten mit ihm wurde als „liebevoll und fürsorglich“ beschrieben.

Das Gericht geht davon aus, dass Bernd K. dem Kind unter Drogeneinfluss Gewalt zugefügt hat. Es schloss sich der Einschätzung seiner Anwälte an, dass es mit Bernd K. nach dem Tod seines ungeborenen Kindes im Mai 2005 und dem Tod von Kevins Mutter im November 2005 „bergab“ ging, wie Kellermann sagte. Dass er aber danach so exzessiv Drogen genommen habe, wie er dem psychiatrischen Gutachter weis gemacht hatte, hielt das Gericht „für völlig überzogen und nicht glaubhaft“. Kellermann zählte eine Reihe von Vorfällen auf, die dagegen sprechen, dass Bernd K.s „Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert“ war. „Es gab viele lichte Momente“, sagte Kellermann. Beispielsweise habe er im Oktober, als er aufzufliegen drohte, seine Sachen eingelagert und Anstalten gemacht, die Stadt zu verlassen. Außerdem habe er im Sommer 2006 geistesgegenwärtig lügen können, wenn jemand Kevin sehen sollte, beispielsweise die Schwester von Kevins verstorbener Mutter. Auch habe er sehr sorgfältig einen Terminkalender geführt. „Ist es Zufall, dass ausgerechnet die entscheidenden Kalenderseiten fehlen, sogar Brandspuren zu sehen sind“, fragte Kellermann.

Eine Antwort gab es nicht. Bernd K. hatte an 29 Verhandlungstagen nichts zu Kevins Todesumständen gesagt. Erst am letzten Prozesstag vor dem Urteil hatte er überhaupt etwas gesagt, dass ihm „das mit Kevin erschreckend leid“ tue, er sich aber an nichts erinnere. „Das glauben wir nicht“, sagte Kellermann dazu, und dass er seine Zweifel daran habe, ob Bernd K. in der Lage sei, Reue zu empfinden. „Er versucht nach seinen besten Möglichkeiten zu bereuen.“

Ohne K.s Aussage wird der genaue Todeszeitpunkt auf Kevins Grabstein immer offen bleiben. Das Gericht kam aufgrund der Zeugenaussagen zu der Überzeugung, dass Kevin Ende Juni, Anfang Juli starb. Am 5. Juli müsse er schon tot gewesen sein, das war der Tag, an dem ihn seine Tante besuchen wollte.

Zu der Frage, inwiefern sich andere mitschuldig gemacht hatten – die Lebensumstände des unter staatlicher Vormundschaft stehenden Kindes waren sogar dem Bremer Bürgermeister bekannt – sagte Kellermann, Bernd K. sei allein verantwortlich für den Tod des Jungen. „Es gab aber genug Situationen, in denen andere den Zug in die Katastrophe hätten aufhalten können.“

Bernd K. wird zwei Jahre seiner Haft in einer geschlossenen Entziehungsanstalt verbringen. Sollte die Therapie erfolgreich sein, kann er frühestens nach der Hälfte der Zeit entlassen werden. Allerdings wird er eine weitere Haftstrafe von anderthalb Jahren wegen räuberischen Diebstahls absitzen müssen, die zuvor zur Bewährung ausgesetzt war. Seine Anwälte kündigten an, das Strafmaß in Frage stellen zu wollen. Der Staatsanwalt, der 13 Jahre gefordert hatte, sagte, er wolle „prüfen, ob er Rechtsmittel einlege“. Auf welcher Grundlage, sagte er nicht.