Operation Rote Flora

Die Razzia im Hamburger Schanzenviertel setzte eine interne Anweisung um, die auch im polizeilichen Dienstunterricht behandelt wird. Das autonome Zentrum klagt auf Schadensersatz

VON KAI VON APPEN

Die Polizei-Razzia im autonomen Zentrum Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel hatte System. Nach Informationen aus Polizeikreisen gibt es eine interne Anweisung, die auch im Dienstunterricht durchgenommen wird. Sie sieht vor, bei jeder Gelegenheit eine Durchsuchung der Roten Flora anzustreben.

Am Sonntagabend waren aufgrund der Razzia vom Vormittag mehr als 600 Demonstranten durch das Schanzenviertel gezogen. Der Protest verlief ohne größere Zwischenfälle. In der Nacht wurden dann laut Polizei fünf Autos in Brand gesteckt und die Scheiben eines Kundenzentrums eingeschlagen. Vier Personen wurden festgenommen.

Auslöser der Polizeiaktion, bei der 370 Beamte mit Wasserwerfern und Hubschraubern im Einsatz waren, war ein gewalttätiger Beziehungskrach am frühen Morgen gegen 5.30 Uhr auf der Piazza direkt gegenüber der Roten Flora. Ein 23-jähriger Schwarzafrikaner hatte sich mit seiner 18-jährigen Freundin gestritten und sie im Verlauf des Streits gewürgt. Einige Personen, die die Nacht auf einer Party in der Roten Flora verbracht hatten, wurden Augenzeugen des „sexistischen Übergriffs“ – sie kamen der Frau zur Hilfe, wobei einer Pfefferspray sprühte, um den Schwarzafrikaner auf Distanz zu halten. Dieser flüchtete in seine Wohnung direkt an der Piazza. Die Party-Besucher boten der 18-Jährigen an, mit in die Rote Flora zu kommen. „Die Situation sollte sich entschärfen, die Leute haben sie und ihre Freundin mitgenommen“, so der Flora-Sprecher.

In der Zwischenzeit war der Angreifer erneut auf der Piazza erschienen, diesmal mit zwei Messern bewaffnet. Er flüchtete jedoch in seine Wohnung zurück, als zwei Streifenwagen vorfuhren. Die Beamten setzten dem Mann nach und nahmen ihn in der Wohnung zunächst fest. „Der Mann konnte den Beamten jedoch plausibel machen, dass er nicht Täter, sondern Opfer einer gefährlichen Körperverletzung durch Reizgas ist“, sagt Polizeisprecher Ralf Meyer.

Tatsächlich gingen die Polizisten nunmehr vor der Roten Flora auf den Mann los, der der Frau geholfen hatte. „Der fühlte sich überhaupt nicht schuldig“, sagt der Flora-Sprecher. Als der Mann festgenommen werden sollte, warfen Rote Flora-Besucher Flaschen und Steine auf die Polizisten, was fünf Stunden später zu dem Großeinsatz und 13 Festnahmen führte. Die mutmaßlichen Werfer befanden sich zu diesem Zeitpunkt allerdings längst nicht mehr in der Roten Flora.

Die Rote Flora hat angekündigt, die Polizei auf Schadensersatz zu verklagen. Diese habe sich nicht an die Absprache zwischen Einsatzleiter Hendrik Ruschmeyer und Flora-Anwalt Marc Meyer gehalten, sagte ein Rote Flora-Sprecher. Die Absprache sah vor, dass die Rotfloristen alle weiteren Türen freiwillig aufschließen würden, wenn die Polizei die Eingangstür knacken sollte. Die Polizei habe jedoch bei der Razzia im Obergeschoss nicht gewartet, sondern sogleich die Brandschutztüren aufgeflext. Die Verantwortung dafür sollen der Gesamteinsatzleiter Kuno Lehmann und Hundertschaftsführer Hartmut Dudde tragen. „Die Türen sind echt kaputt“, so der Rote Flora-Sprecher.

Die Linksfraktion in der hamburgischen Bürgerschaft hat den Polizeieinsatz als „martialisch“ verurteilt und als „politisch motivierten Angriff des Innensenators auf die linke Szene“ bezeichnet. Womöglich beabsichtige CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus auch den GAL-Koalitionspartner vorzuführen, so die Linke-Innenpolitikerin, Christiane Schneider. „Wie auch immer: Der CDU-GAL-Senat setzt den Law-and-Order-Kurs der Hardliner Ronald Schill, Roger Kusch und Udo Nagel nahtlos fort.“ GAL-Innenpolitikerin Antje Möller sprach von „Unstimmigkeiten“ zwischen den polizeilichen Auskünften vor Ort und den aktuellen Erkenntnissen und verlangte „Klarheit“.

In der internen Anweisung zur Durchsuchung der Roten Flora heißt es, wichtig sei es, das Vorgehen als Beweis für spätere Untersuchungen zeitnah über Funk zu dokumentieren. Für den Einsatz reiche die Information, dass der Beschuldigte in die Rote Flora geflüchtet sei. Anschließend müsse festgestellt werden, dass dieser nicht wieder herausgekommen sei. „Dann ist der Weg frei“, sagt ein Insider.

Genau nach diesem Schema ist Sonntag verfahren worden.