Ätschenbätschen, nur halbtags Schule

Dass neue Gesamtschulen nicht automatisch Ganztagsschulen mit Pflicht-Unterricht am Nachmittag werden, kritisieren in Niedersachsen viele: Lehrergewerkschaft, örtliche Initiativen – und neuerdings sogar Politiker der regierenden CDU

„Helfen Sie mir, eine Gesamtschule zu gründen, auch wenn ich in der CDU bin?“, fragen Bürgermeister derzeit beim einstigen schulpolitischen Gegner an. Der heißt Eberhard Brandt und ist Vorsitzender der Lehrergewerkschaft GEW in Niedersachsen. Brandt beklagt einen „unglaublichen Etikettenschwindel“ bei der Erfüllung eines Wahlversprechens von FDP und CDU – der Lockerung des Gesamtschul-Gründungsverbots im Land. Derzeit gibt es in Niedersachsen 28 Schulträger mit Gründungsplänen. Aber: Dafür, dass hier auch nachmittags unterrichtet wird, stellt das Land kein Geld zur Verfügung. „Die Gemeinden werden richtig auf den Arm genommen“, sagt Brandt. „Wulff sagt erst, es gibt eine richtige Gesamtschule und nachher, ätschenbätschen, war nix gewesen.“

„Keine Schule in Niedersachsen ist automatisch eine Ganztagsschule“, sagt hingegen Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU). Gesamtschulen dürften nicht bevorzugt werden und müssten einen Antrag bei der Landesschulbehörde stellen, um ganztags Unterricht anbieten zu können. „Dabei behandeln wir alle Schulformen gleich“, sagt die Ministerin. Mehr Personal an den Gesamtschulen gebe es nur „nach den Möglichkeiten der Haushaltssituation“.

Während an bestehenden Gesamtschulen verbindlicher Nachmittags-Unterricht stattfindet, bieten die neuen „offenen“ Schulen nur freiwillige Kurse an drei Nachmittagen, gegeben von Vereinen, Kirchen oder Organisationen. Die „Ganztagsschule light“ widerspreche der Gesamtschul-Idee, sagt Brandt: Gerade lernschwächere Schüler bräuchten pädagogische Förderung bis 15.30 Uhr. Das sehen Initiativen und Lokalpolitiker aller Parteien genau so: „Wenn ich von guten Schulen spreche, meine ich Ganztagsschulen“, zitiert etwa Nathalie Boegel die Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Boegel, selbst CDU-Gemeinderätin, will in der Samtgemeinde Jesteburg eine Gesamtschule errichten. Heister-Neumanns Konzept, sagt sie, habe nichts „mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun“.

Richtig „geschockt, dass es sich nur um eine Halbtagsschule handeln wird“, war Dorothee Schindler von der Lüneburger Initiative, wo der Stadtrat jüngst eine Gesamtschule beschlossen hat – mit den Stimmen der CDU. Von einem Auto „ohne Airbag und Gurte“ spricht der SPD-Landtagsabgeordnete Olaf Lies, der sich für eine Gesamtschule in Ostfriesland einsetzt. Heute wird das Thema im Landtag behandelt. KAI SCHÖNEBERG