spielplätze (1) :im Fritznielsen: "Momente, die man nie vergisst"

Alle gucken wieder Fußball. Die taz auch. Bis zum Ende der Europameisterschaft berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Schweiz - Tschechien im Fritznielsen.

"Endlich wieder" ist auf einem kleinen, unscheinbaren Aufkleber zu lesen, wenn man die Tür ins Fritznielsen öffnet. Er ist ziemlich ausgebleicht - doch könnte kaum etwas den Zustand der Teilzeitkneipe in Wilmersdorf besser beschreiben, als dieses klebende Stück Papier. Einfach und unfertig erscheint einem das Fritznielsen beim ersten Betreten. Doch genau dies ist es, was die Gäste offenbar wollen. Denn am Zustand des Ladens, der seit Ende 2006 geschlossen hatte, hat sich nichts geändert: Die Decke ist unverputzt, alte Kabel hängen aus den Wänden, einige Bänke stehen wackelig auf den Beinen.

"Ob die einen Torjubel aushalten?", fragt sich eine Schweiz-Sympathsantin mit rot-weißer Flagge im Haar vor dem Eröffnungsspiel der EM. Den Test müssen sie an diesem Tag nicht bestehen, die Schweiz verliert 0:1 - enttäuschend für die meisten Gäste. Enttäuschend aber auch für den Eidgenossen - und Namensgeber - Fritz Bleuler, der zusammen mit Niels Eixler hinterm Tresen steht.

Es gibt kaum jemanden unter den rund 120 Zuschauern im Raum, der den Schweizern an diesem Samstagabend nicht die Daumen hält. Rot-weiße Flaggen und Laternen hängen über der Bar, selbst die Sitzblöcke scheinen auf die Landesfarben der Alpenrepublik abgestimmt. "Hopp Schwitz"-Sprechchöre ertönen bei gewonnen Zweikämpfen, enttäuschtes Stöhnen bei jeder vergebenen Chance. "Was zum Teufel macht denn der?" Jan Rüggen schreit auf, als Hakan Yakin aus kurzer Distanz den Ball am Tor vorbeiköpft. Der Student - und Stammgast, wie er versichert - wischt sich den Schweiß von der Stirn. Bei einem vermeindlichen Handspiel recken sich empört Fäuste in die Höhe. "Klarer Elfmeter", ist sich die Merheit im Fritznielsen sicher.

Echte Eidgenossen sind unter all den Sympathisanten nur wenige. Auch Rüggen ist Berliner. Eigentlich. Einer seiner Freunde hat eine Schweizer Mutter, der Wirt der Kneipe ist Schweizer. Das reicht ihm, um mitzufiebern, als sei die Deutsche Nationalmannschaft am Ball.

Er und die anderen Besucher des dreiwöchigen "EM-Lagers West" (so die Bezeichnung auf der Markise draußen) nehmen einige Unwägbarkeiten dafür in Kauf: Bequem sind hier allenfalls die Liegestühle im Freien. Im Inneren klagt manch einer nach der Niederlage der Schweizer über Rückenschmerzen. Eigentlich ist es auch zu warm. Die alte Kaffeemaschine hat ihren Geist aufgegeben, fließend Wasser gibt es zwar auf den Toiletten, nicht aber hinter der Bar. Ja, Luxus ist anders. "Wir sind kein Grand-Hotel, erleben aber Momente, die man nicht vergisst", sagt der 43-jährige Fritz Bleuler.

Sein optimistischer Blick weicht im Laufe des Spiels mehr und mehr dem Entsetzen. Als in Halbzeit zwei der Siegtreffer für die Tschechen fällt, wendet er sich enttäuscht ab - um wenige Sekunden später wieder mit letzter Hoffnung gen Leinwand zu blicken.

Auch wenn es für die Schweizer "Nati" an diesem Tage nicht gereicht hat, die Fritznielsen-Fans werden trotzdem wieder kommen. Bis zum Ende der EM werden alle Spiele gezeigt - "endlich wieder." Simon Walter

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