taz-Forum zur Landtagswahl in Thüringen: Nicht mit Nazi-Höcke

Wird Thüringen mangels Mehrheit unregierbar? Beim taz-Gespräch überraschen die Kandidaten mit Freundlichkeit – und scharfer Abgrenzung nach rechts.

Mehrere Menschen sitzen an einem Tisch, der das taz-Logo zeigt, mit dabei CDU-Spitzenkandidat Mohring und Hennig-Wellsow, Landes- und Fraktions­vorsitzende der Linken

Persönlich können sie sich offensichtlich gut leiden: Kandidaten und Moderatoren auf der Bühne Foto: Hein-Godehart Petschulat

ERFURT taz | Die schärfsten Attacken beim Erfurter taz-Wahlforum richteten sich nicht gegen einen der fünf Spitzenpolitiker auf der Bühne, sondern gegen die nicht anwesende AfD. „Höcke ist ein Nazi!“, positionierte sich CDU-Herausforderer Mike Mohring, nachdem er aus dem Publikum auf einen möglichen Flirt mit der AfD angesprochen worden war. „Da gibt es kein Fackeln, weder vor noch nach der Wahl“, fügte Mohring seinem emotionalen Statement hinzu. Nur die Linke habe ein Interesse, eine solche Kooperation zu beschwören. „Ich habe nichts mit diesen Drecksnazis gemeinsam, die gehen mir auf den Sack“, steigerte sich Mohring noch, als es um die Verrohung und Militarisierung der Sprache ging.

Die Frage einer schwarz-blauen Liaison stellt sich in Thüringen zwar nicht so zugespitzt wie im sächsischen Wahlkampfsommer. Sie bleibt aber theoretisch im Gespräch, weil sie nach den Umfragen eine knappe Mehrheitsbildung erlauben könnte.

Unter Mohring dürfte eine solche Zusammenarbeit aber ausbleiben. Der CDU-Politiker war am Mittwoch auf der Bühne nicht allein mit seiner deutlichen Abgrenzung nach rechts. Susanne Hennig-Wellsow, Landes- und Fraktions­vorsitzende der Linken, verlangte, Anhänger der „faschistischen Partei“ AfD aus dem Polizeidienst zu entfernen. Nicht zum ersten Mal wählte sie diese Bezeichnung. SPD-Spitzenkandidat und Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee wollte indes die AfD nicht ausgrenzen. „Es ist wichtig, sich auf dem Podium mit ihr auseinanderzusetzen, Herrn Höcke zu stellen“, sagte er und erntete dafür „Nein“-Rufe aus dem Publikum.

Untereinander aber gingen die anwesenden Parteivertreter so locker miteinander um, dass man kaum an Kämpfer vor einer ziemlich schicksalhaften Wahl glauben mochte. Die Atmosphäre im überfüllten Gast- und Kulturhaus „Speicher“, im ältesten Stadtkern Erfurts gelegen, mag dazu beigetragen haben. Aber schon lange fällt der über den Pflichtrespekt hinausgehende freundschaftliche persönliche Umgang politischer Kontrahenten in Thüringen auf, ein auffälliger Gegensatz zum neurotischen und verbiesterten Sachsen. Der Mike und die Susanne können gar nicht mehr dahinter zurück, dass sie einst gemeinsam an einer vierwöchigen Amerika-Reise teilgenommen hatten. Wenn man sich zur Begrüßung umarmt und einer dem anderen ein Bier mitbestellt, warum sollten dann CDU und Linke nicht auch miteinander koalieren können?

Differenzen hinsichtlich des Verfassungsschutzes

Dass es dafür durchaus Gründe gibt, zeigte sich dann doch recht schnell, denn in der Sache stoben am Mittwoch teils die Funken. Auch zwischen den Koalitionären von Rot-Rot-Grün, die am bevorstehenden Wahlsonntag auf eine knappe Bestätigung ihres Bündnisses hoffen, zeigten sich Differenzen. Unverändert will beispielsweise die Linke den Verfassungsschutz abschaffen, die SPD aber einen gut kontrollierten VS mit klarer Aufgabenstellung behalten.

Wen der Geheimdienst vor allem zu beobachten habe, machte auch die CDU mit einer lange vermissten Klarheit deutlich. Generalsekretär Raymond Walk, der zunächst den später erscheinenden Mike Mohring vertrat, wartete als ehemaliger Polizeidirektor im Thüringer Innenministerium selbst mit alarmierenden Zahlen auf. 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung neigten zu extrem rechten Einstellungen. Die Zahl der registrierten rechtsextremen Gruppierungen und Vereine sei auf 25 gestiegen und damit regelrecht „explodiert“. Die Rechtsextremen im Bundesland seien darüber hinaus gut mit Reichsbürgern vernetzt, von denen Thüringen die höchste Dichte in Deutschland aufweise. „Die Gefahr des Rechtsextremismus ist unbestritten die größte“, resümierte der grundkonservative Walk.

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Mit der Frage, wie gute Schulbildung gelingen könne, ging es am Mittwoch auf dem Podium auch um das derzeitige Thema Nummer eins in Thüringen. Neben den üblichen gegenseitigen Schuldzuweisungen für die trotz der Neueinstellung von 3.900 Lehrern noch immer nicht stabile Unterrichtsversorgung ging es auch um Schulsysteme. Die grüne Umweltministerin Anja Siegesmund verteidigte einmal mehr die Freien Schulen, plädierte für ein Nebeneinander von Inklusion Behinderter und Förderschulen.

Klimadebatte landete schnell bei Windräderfrage

Alle Koalitionäre wollen längeres gemeinsames Lernen und die Gemeinschaftsschulen fortführen, während die CDU wenig überraschend „für jeden die richtige Schule“ in einem gegliederten Schulsystem will, so Raymond Walk. Die SPD möchte wiederum eine „Schulstrukturdebatte von oben“ vermeiden. Wolfgang Tiefensee schlug die Ausstattung der Schulen mit einem eigenen Gestaltungsbudget und größere konzeptionelle Autonomie vor. Verwaltungsleiter sollten die Pädagogen von bürokratischen Aufgaben entlasten.

Die Klimadebatte landete schnell bei der im waldreichen Thüringen speziell von CDU und AfD betonten Windräderfrage. Dabei sind in der auslaufenden Legislaturperiode nur hundert Windräder neu errichtet worden, so dass Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier schon besorgt fragt, warum denn der Ausbau in Thüringen stocke. Die CDU hat eine Mindestabstandsformel vom Zehnfachen der Windradhöhe erfunden und füttert damit die Kontra-Bürgerinitiativen. Tatsächlich aber liegen die Positionen hier nicht so weit auseinander, wie es scheint. Auch Umweltministerin Siegesmund will Windräder im Wald höchstens dort, wo der ohnehin durch Sturm oder den Borkenkäfer geschädigt ist.

Wird Thüringen mangels Mehrheitsbildung unregierbar? Susanne Hennig-Wellsow schließt eine Koalition mit der CDU aus, die CDU tut umgekehrt desgleichen. Wieder kam im Erfurter Speicher ein bemerkenswerter Vorschlag von Wolfgang Tiefensee. Pragmatische Entscheidungen mit wechselnden Mehrheiten wie in seiner Zeit als Leipziger Oberbürgermeister ließen sich zwar nicht 1:1 auf einen Landtag übertragen. Aber Tiefensee möchte weg vom konfrontativen Koalitions-Oppositions-Denken. Eine wie auch immer aussehende Koalition könne sich auf 10–15 Kernprojekte verständigen, die wie der Haushalt mit Mehrheit durchgebracht werden müssen. Über weitere Fragen und Vorhaben könne frei entschieden werden. Es scheint, als ob Thüringen nach der ersten linksgeführten Landesregierung nun ein weiteres demokratisches Experiment erleben könnte.

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