taz-Serie Fluchtpunkt Berlin (10): Wartezimmer Berlin

Wie viele Geflüchtete lebt die syrische Familie Mottaweh noch immer im Heim. Die unmögliche Suche nach einer Wohnung macht sie wahnsinnig.

Vater Mahmoud Mottaweh mit den beiden Söhnen Obai und Omar: seit mehr als einem Jahr wohnt die siebenköpfige Familie auf 40 Quadratmetern zusammen. Foto: Lia Darjes

Diese Geschichte spielt in einem Wartezimmer. Das Wartezimmer befindet sich in der vierten Etage eines Lichtenberger Flüchtlingsheims, es ist 39 Quadratmeter groß, es gibt eine Gemeinschaftsküche für die ganze Etage und ein Gemeinschaftsbad. Sieben Menschen warten in diesem Zimmer seit 17 Monaten darauf, dass ihre Zukunft in Berlin endlich beginnt: Mahmoud Mottaweh, seine Frau Salwa Kamel und ihre fünf Kinder. Der älteste Sohn ist zehn Jahre alt, die jüngste Tochter gerade ein knappes Jahr. Sie haben lange auf einen Aufenthaltstitel gewartet, jetzt warten sie weiter: auf eine Wohnung, die sie nicht finden. Das Warten macht sie wahnsinnig.

Es gibt derzeit sehr viele von diesen Wartezimmern in der ganzen Stadt. Im vergangenen Jahr, zur Hochzeit der Flüchtlingskrise, war das Hauptproblem die erste Versorgung der Menschen, die schnelle Unterbringung – in Turnhallen, in den Tempelhofer Hangars, in sogenannten Erstaufnahmeeinrichtungen wie der in der Lichtenberger Rhinstraße. Jetzt ist das Problem, wie man Familien wie die Mottawehs aus diesen längst zu Dauerdomizilen gewordenen Provisorien wieder herausbekommt.

Mahmoud Mottaweh klemmt die Einkaufstüte mit dem Obst in den schmalen Spalt zwischen Balkongitter und -tür. „Unser Kühlschrank, siehst du?“ Er kommt vom Einkaufen, er ist gereizt: Draußen ist es kalt, drinnen zieht es durch die kaputte Abdichtung der Balkontür.

Im Sommer hat die Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge, besser bekannt als BAMF, der Familie ein subsidiäres Aufenthaltsrecht zugesprochen. Die Mottawehs haben jetzt Anspruch auf Sozialleistungen, auf eine Wohnung. Sie sollten eigentlich beim Bürgeramt einen Wohnberechtigungsschein beantragen können. Damit hätten sie die Möglichkeit, sich auf günstigere Sozialwohnungen zu bewerben.

Das Projekt: Die Aussichten auf ein Bleiberecht sind sehr ungleich verteilt. In loser Folge begleitet die taz seit November 2015 eine syrische und eine serbische Flüchtlingsfamilie.

Zuletzt sprach die Härtefallkommission des Innensenats den Jovanovićsaus Serbien überraschend ein Aufenthaltsrecht zu.

Alle Folgen:www.taz.de/Schwerpunkt-Fluechtlingsserie.

Das Bürgeramt will Mahmoud Mottaweh und seiner Familie aber keinen Wohnberechtigungsschein ausstellen, weil ihre Papiere noch in Dänemark sind. Dort hatte die Familie, die 2013 aus einem Vorort von Damaskus geflüchtet ist, im Frühjahr 2015 einige Zeit in einem Auffanglager verbracht.

Mindestens vier Zimmer, 80 Quadratmeter

Natürlich hat Mahmoud Mottaweh sich die Anzeigen der Wohnungsportale im Internet angesehen. Er hat insbesondere in Lichtenberg geschaut – die drei älteren Söhne gehen auf eine Grundschule in Alt-Friedrichsfelde. Es gefällt ihnen dort, und der Vater will keinen unnötigen Schulwechsel für seine Kinder.

Sozialarbeiterin Aydinoglu

„Die Vermieter können sich aussuchen, wen sie nehmen“

Mahmoud Mottaweh hat im Internet auch Angebote gefunden, die ihm gefielen, das war nicht das Problem: Bis zu 1.018 Euro Bruttokaltmiete übernimmt das Sozialamt für eine siebenköpfige Flüchtlingsfamilie, die sich aus einer Gemeinschaftsunterkunft heraus auf Wohnungen bewirbt. Mindestens vier Zimmer und 80 Quadratmeter muss die Wohnung haben, damit sich das Amt nicht wegen „beengter Wohnverhältnisse“ querstellt.

Mahmoud Mottaweh hat bei einer Handvoll Vermietern angerufen. Dann hat er es wieder gelassen: Wenn sie sein schlechtes Deutsch am Telefon hörten, legten sie ohnehin gleich auf, erzählt er. Seine Stimme wird dabei lauter, unsicher schaut der siebenjährige Omar von dem Dinosaurier auf, den er mit Filzstiften am Tisch malt. Der Tisch ist zugleich Schreibtisch für die drei älteren Jungs, Esstisch für die ganze Familie und Spieltisch für die beiden kleinen Mädchen. „Es geht nicht voran“, sagt Mahmoud Mottaweh leiser.

Natürlich nicht, sagt Jonas Feldmann. Er ist Sozialarbeiter bei der Arbeiterwohlfahrt, die auch das Heim in Lichtenberg betreibt, und kennt das Problem. Feldmann, der als stellvertretender Einrichtungsleiter in einem Heim am Kaiserdamm in Charlottenburg arbeitet, erzählt von einem gescheiterten Projekt: Zehn Monate lang sollten extra dafür eingestellte Praktikanten die Flüchtlinge zu Wohnbesichtigungen begleiten. Nicht eine einzige Person, sagt er, hätten sie aus dem Heim heraus vermitteln können. Man merke einfach, „dass die Vermieter sich aussuchen könnten, wen sie nehmen“, sagt Feldmann.

Die schwächsten im Berliner Mietpreispoker

Inzwischen stünden selbst in den Außenbezirken wie Marzahn oder Spandau bis zu 100 Leute bei Besichtigungsterminen vor der Tür, erzählt auch Feldmanns Kollegin Elvin Aydinoglu, die ein Wohnprojekt für Flüchtlingsfrauen betreut. „Und die Ersten, die die Wohnungsunternehmen nicht nehmen, sind die Flüchtlinge, die nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis haben.“

Fast immer, wenn Aydinoglu um eine Wohnung für einen Geflüchteten anfragt, wird sie so abgewimmelt. „Wendet man sich dann an eine höhere Stelle im Unternehmen, geht es oft plötzlich doch, weil die offizielle Politik der Wohnungsbauunternehmen natürlich ist: Wir sind selbstverständlich auch offen für Flüchtlinge.“ Aber das, sagt Aydinoglu, komme eben nicht unbedingt unten bei den Sachbearbeitern im Regionalbüro an.

Die Flüchtlinge sind die schwächsten im härter werdenden Berliner Mietpreispoker. Sie können nur verlieren. Da ist zum einen die begrenzte Zahl an günstigen Wohnungen, die für sie infrage kommen. Zwar gibt ein sogenanntes geschütztes Marktsegment, das die öffentlichen Wohnungsbauunternehmen für bedürftige Mietergruppen zur Verfügung stellen. Immer mehr Flüchtlinge, die im Sommer 2015 nach Deutschland gekommen sind, haben inzwischen einen Aufenthaltstitel – und konkurrieren zum Beispiel mit Obdachlosen, aber auch mit Frauen aus Frauenhäusern um die rund 1.300 Wohnungen des geschützten Segments – berlinweit.

Alleine in Lichtenberg lebten im Oktober rund 5.500 Geflüchtete in Heimen, heißt es aus dem bezirklichen Sozialamt. Selbst wenn diese Flüchtlinge am Ende nicht alle einen Aufenthaltstitel bekommen, kann man sich leicht ausrechnen, dass da etwas nicht hinhaut.

Suchen Geflüchtete hingegen auf dem freien Wohnungsmarkt, erschwert vielen ihr subsidiärer Schutzstatus die Wohnungssuche. Seit der Verschärfung des Asylrechts im vergangenen Frühjahr wird einem Großteil der syrischen Flüchtlinge nur noch dieser eingeschränkte Schutz zugestanden, der lediglich für ein Jahr gültig ist und etwa den Familiennachzug ausschließt.

Keine Rückzugsmöglichkeit

So bekamen im November 2015 laut Asylgeschäftsstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge noch 95 Prozent der syrischen Flüchtling dreijähriges Asyl, zumeist nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Diesen Schutz bekommt, wer in seiner Heimat „persönlich“, etwa aufgrund seiner politischen Überzeugung, verfolgt wird. Im November 2016 machte diese Gruppe nur noch 58 Prozent aus. 40 Prozent der geflüchteten SyrerInnen hingegen erhielt nur noch subsidiären Schutz – quasi pauschalen Schutz vor dem Bürgerkrieg in der Heimat, solange er eben dauert.

Und weil dieser Krieg dauert, werden derzeit auch die Aufenthaltstitel für syrische Flüchtlinge in der Regel problemlos verlängert – inzwischen für mindestens zwei weitere Jahre. Aber das blendeten die Wohnungsgesellschaften offenbar aus, sagt Sozialarbeiter Feldmann. „Niemand gibt ihnen eine Wohnung, wenn da steht: ein Jahr Aufenthaltsbefristung.“

Die Mottawehs bewohnen im Heim ein Zimmer und einen winzigen Nebenraum, der als Abstellkammer und Spielecke für die Kinder dient. Im großen Zimmer haben sie die Betten zu einer Art Liegewiese zusammengeschoben. Rückzugsmöglichkeiten gibt es keine: nicht für die Eltern am Abend, nicht für die Kinder am Nachmittag zum Hausaufgabenmachen. Die Nächte sind unruhig, das zehrt an den Nerven. Mahmoud Mottaweh sagt, er sei sehr müde.

Er überlegt nun, es zu machen wie einige Bekannte, die er aus dem Heim kennt. Sie hätten „Vermittlern“ Geld gezahlt, Mahmoud Mottaweh spricht von 6.000 Euro, damit die ihnen eine Wohnung besorgen. Auch Sozialarbeiter Feldmann berichtet von Wohnungen gegen solche „Handgelder“ – allerdings konnte bisher niemand beweisen, dass diese „Vermittler“ mit Wohnungsgesellschaften zusammenarbeiten (die taz berichtete).

Rot-rot-grün will etwas tun

Mahmoud Mottaweh jedenfalls hat daraus für sich den Schluss gezogen, dass Ehrlichkeit einen in Deutschland nicht weiterbringt. Vielleicht bis zum Schreibtisch der Sachbearbeiterin auf dem Jobcenter, aber bestimmt nicht in eine eigene Wohnung.

Die rot-rot-grüne Koalition will, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften 55.000 zusätzliche Wohnungen in öffentlicher Hand schaffen. Die rund 130.000 Sozialwohnungen sollen erhalten bleiben, die Mieten gedeckelt werden. Initiativen wie der Berliner Flüchtlingsrat fordern seit Langem mehr Wohnungen für alle bedürftigen Gruppen im „geschützten Marktsegment“. Auch AWO-Mitarbeiterin Elvin Aydinoglu sagt: „Das würde helfen.“

Im Koalitionsvertrag steht, man wolle die Zahl auf 2.500 Wohnungen erhöhen – immerhin. Ob das aber reicht, ist fraglich. Mahmoud Mottaweh hat sich eine Rechtsanwältin genommen und Klage eingereicht gegen die Entscheidung des BAMF, seinen Aufenthalt auf ein Jahr zu befristen. Er will als „ordentlicher“ Flüchtling anerkannt werden. Er will drei Jahre Asyl für sich und seine Familie. Damit stünden auch seine Chancen auf dem Wohnungsmarkt deutlich besser.

Es ist schon möglich, dass ein Gericht ihm und seiner Familie Asyl nach der Genfer Flüchtlingskonvention zuspricht. Mahmoud Mottawehs Vater bildete Kämpfer der Freien Syrischen Armee aus, die gegen Machthaber Baschar al-Assad kämpft. Zudem hat Mottaweh Videos veröffentlicht, auf Facebook und YouTube: von Demonstrationen gegen das Regime, von Toten und Verwundeten, die ein Freund und er in ihrem Auto in Krankenhäuser brachte. Mahmoud Mottawehs Bekannter wurde irgendwann von Assads Polizei festgenommen. Mottaweh glaubt, er ist gefoltert worden und habe dabei auch seinen, Mahmouds, Namen genannt.

Zurück in die Türkei?

Seine Familie sei deshalb in Syrien nicht mehr sicher, argumentiert das Rechtsanwaltsbüro, das die Klage der Mottawehs vertritt: Ihnen drohten „Verfolgungshandlungen, die an ihre politische Auffassung geknüpft“ seien.

Mahmoud Mottaweh wartet jetzt mal wieder, auf die Entscheidung des Gerichts. Fällt sie positiv aus, will er es noch mal probieren mit der Wohnungssuche. „Wenn es nicht klappt, gehe ich mit meiner Familie in die Türkei.“ In die Türkei, zurück in ein Land, wo die Lage unsicherer ist als hier? „Ja. Aber dort man kann anfangen zu leben.“

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