Tote Briefkästen im Netz von Belgrad

■  Serbische Newsgruops werden zensiert – Miloevic' Beamte schreiben auch mal eine private Mail in ihrem Sinne um, und in der Presse wird vor westlichen Agenten gewarnt, die das Internet mit Falschmeldungen bombardieren

„Die melden sich einfach nicht mehr“, schimpft einer in einer Newsgroup. Eine andere Surferin pflichtet dem bei. „Kein Lebenszeichen, was ist los?“ schreibt sie. So fabelhaft modern Internet-Verbindungen auch sind, trügerisch sind sie dennoch. Das Mail-Programm oder der Browser läßt nicht ohne weiteres erkennen, ob die Funktionsstörung auf höhere Gewalt oder auf Zensur zurückzuführen ist.

Beides ist zur Zeit zu vermuten, wenn es sich um serbische Newsgroups handelt. Die Bomben der Nato haben große Teile der Kommunikationsstrukturen getroffen. Ebensooft aber sorgen die serbischen Behörden für tote Briefkästen. Die Betroffenen ahnen zunächst nicht, wundern sich aber. Zwar nehmen ihre Zugangsrechner in Belgrad noch immer fast jede Mail an. Nur lassen sie nichts mehr hinaus – fast nichts mehr.

So sind denn auch Webseiten, die sich kritisch mit Miloevic auseinandersetzen, heute in Belgrad immer noch für alle lesbar, die überhaupt einen Anschluß ans Netz haben. Aber die gewöhnliche „mail to“-Funktion versagt – allerdings nicht auf den ersten Blick. Das Mailprogramm arbeitet wie immer. Der Text wird schließlich auch noch auf dem eigenen Rechner als „abgeschickt“ markiert. Beim Provider aber bleibt er liegen. Der Absender merkt nichts davon, denn anders als bei bloß technischen Störungen unterbleibt diesmal die Standardrückmeldung des Kontenrechners, daß die Mitteilung nicht habe an den Adressaten geschickt werden können.

Damit nicht genug. Noch pefider ist, daß die Provider vor Ort die E-Mail-Sendungen ihrer Kunden offenbar nicht nur fleißig lesen, sondern auch noch manipulieren. Plötzlich kommt nach Tagen aus Belgrad eine angeblich von einem Computerfreak abgeschickte Nachricht tatsächlich doch im System des Empfängers an. Aber der Belgrader Absender beteuert nach telefonischer Rückfrage glaubwürdig, er habe seine Botschaft in etwas anderen Worten verfaßt, als sie ankam – offensichtlich hat eine unsichtbare Hand den Text umgeschrieben.

Diese Form der Zensur ist inzwischen nicht mehr auf den serbischen Teil des Internets (Srbija.yu) begrenzt. Davon betroffen sind auch internationalen Provider wie Eunet oder Microsofts Mailserver „Hotmail“. Deren Belgrader Knotenpunkt wird seit Beginn des Nato-Krieges gegen Serbien manipuliert, ob aus Gründen der Selbstzensur oder durch direkte Eingriffe des Regimes, ist unklar.

Hinweise auf staatliche Manipulationen finden sich aber in der heimischen Presse, die offen vor „nachrichtendienstlichen Tätigkeiten“ auch im Internet warnt. Vor allem die Tageszeitung Politika Ekspres nimmt sich dieses Themas ausführlich an: „Mit den modernen Mitteln der Kommunikation versuchen westliche Spione seit Tagen logistische Unterstützung an die Nato-Zentralen im Westen durchzugeben. Sie bombardieren Newsgroups mit fingierten Leserbriefen, die nur für Insider zu entschlüsseln sind. Da steht etwa das Wort Gänseblümchen für Bombe, Kaffeetrinken für Angriff. Doch wir sind achtsam und erfolgreich beim Aufspüren heimischer Spionageringe.“

Nach Meinung der Zeitung greifen „westliche Agenten“ deshalb fast ausschließlich auf das Internet zurück, weil die Kommunikation mit Hilfe von Funkgeräten oder Telefonen immer schwieriger werde. In der Tat sind viele Telefonleitungen Richtung Belgrad entweder überlastet, oder sie funktionieren nicht mehr, manch einer hat seit Wochen keinen direkten Kontakt mehr zu seinen Freunden in Serbien. Das soll jedoch auch damit zusammenhängen, daß immer weniger Menschen überhaupt zum Telefonhörer greifen oder daß sie ihren Anschluß abgeschaltet haben, um nicht in Verdacht zu geraten, „für die Nato zu spionieren“. Denn das staatliche Radio und Fernsehen werden nicht müde, immer neue Fälle von „aufgedeckter Spionagetätigkeit“ zu präsentieren. Der Hinweis, die Agenten hätten mit drakonischen Strafen zu rechnen, wirkt hinreichend abschreckend. Karl Gersuny

gersuny@taz.de