■ Rechtsanwalt Witti über die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern

taz: Sechs Milliarden Mark bieten Bundesregierung und Wirtschaft zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern. Die Anwälte der Opfer, also auch Sie, fordern aber einen zweistelligen Milliardenbetrag. Gibt es dafür eine genauere Begründung?

Michael Witti: Es gibt zwei jüngere Entscheidungen der deutschen Justiz zur Entschädigung von Zwangsarbeitern, in denen diesen zwischen 13.000 und 15.000 Mark zugesprochen wurden. Wenn man dies jetzt multipliziert mit der Anzahl der Zwangsarbeiter, dann kommen Sie zu unserer Forderung eines zweistelligen Milliardenbetrages.

Welche Fälle waren das genau?

Einmal hat sich eine Firma in Stuttgart mit einer Klägerin verglichen und 15.000 Mark gezahlt. Dann gab es in Hamburg ein Verfahren, bei dem vom Gericht als Vergleich 13.000 Mark vorgeschlagen wurden. Dort ist die Stadt Hamburg vom Bundesfinanzministerium angewiesen worden, das um Gottes Willen auf keinen Fall zu tun, um keine Präzedenz zu schaffen. Beide Fälle waren Zwangsarbeiter, die bei uns zur Kategorie B gehören würden, also jener, die nach dem bisher vorliegenden Angebot der Bundesregierung und der Wirtschaft nur 3.000 bis 4.000 Mark bekämen.

Sie berufen sich auf diese Entscheidungen?

Ich kann damit nachweisen – und da kann sich die Industrie auf den Kopf stellen –, dass unsere Summe nicht die Idee von Rechtsanwälten ist, die irgend welche überzogenen Forderungen stellen. Da stehen Fakten dahinter aus der deutschen Justiz. Daran kann man nicht vorbei, es sei denn, man ignoriert das eigene Rechtssystem.

KZ-Zwangsarbeiter werden fast das Dreifache an Entschädigung erhalten wie die anderen Zwangsarbeiter, die aus ihren Heimatländern deportiert wurden. Dies ist ein Ergebnis der Verhandlungen in Washington. Wie kam es zu dieser Aufteilung?

Es gab einen breiten Konsens bei allen Beteiligten, dass die Bedingungen der Sklaven-Zwangsarbeiter im KZ so erheblich schlechter waren als die der anderen Zwangsarbeiter. Deshalb hat man einen entsprechenden Multiplikator genommen für die Zwangsarbeiter im KZ.

Sie wollen im November weiter verhandeln. Die Zeit drängt, denn die Opfer sind alt. Setzt Sie das unter Druck?

Ich werde auf meine Kollegen einreden, dass wir große Kompromissbereitschaft zeigen, damit das Thema zu Gunsten der Opfer erledigt werden kann. Ich bin optimistisch, dass wir es noch hinkriegen in diesem Jahr. Ein bisschen muss sich die Industrie noch bewegen. Interview: Barbara Dribbusch