Nationaldenkmal soll auferstehen

Außer dem Holocaust-Mahnmal muss es auch ein Nationaldenkmal geben, fordern Bundestagsabgeordnete; neben der Schande der Stolz

von PHILIPP GESSLER

Der Strahler erhellt nur die nächsten drei Schritte. Das Rauschen der Spree ist zu hören. Im Gewölbe spannen sich Dutzende Backsteinbögen. Es riecht modrig, seit Jahren war hier niemand mehr. „THIS IS THE END“, hat jemand auf einen Bogen gesprüht. Das stimmt nicht. Hier beginnt es. Diese Bögen sollen die Last der deutschen Geschichte tragen.

Mehr als 100 Bundestagsabgeordnete haben viel vor mit diesem Ort im Zentrum der Hauptstadt. Sie wollen hier ein „Einheits- und Freiheitsdenkmal“ errichten. Auf dem Schlossplatz vor dem abgewrackten Palast der Republik, vis-a-vis des Schreibtisches von Kanzler Schröder im ehemaligen Staatsratsgebäude. Das Denkmal soll entstehen auf dem Sockel des früheren bombastischen Reiterstandbildes Kaiser Wilhelm I., von dem am Ufer der Spree nur noch das unterirdische Stützgewölbe übrig ist.

Am Donnerstag kommender Woche soll der Gruppenantrag im Plenum debattiert werden. Er hat durchaus gute Chancen, eine Mehrheit zu finden. Mitglieder aller Fraktionen, bis auf die der PDS, unterstützen die Initiative. Die Bundesregierung soll unter dem Motto „Wir sind das Volk! – Wir sind ein Volk!“ am 3. Oktober dieses Jahres, zum zehnjährigen Jubiläum der Wiedervereinigung, einen Wettbewerb zur Errichtung dieser Gedenkstätte ausschreiben. Sie soll erinnern an die „friedliche Revolution vom Herbst 1989“, wie es im Antrag steht, und an die „staatliche Einheit am 3. Oktober 1990“. Ein neuer Denkmalstreit ist programmiert.

Ein neuer Denkmalstreit ist jetzt schon programmiert

Expressis verbis steht im Antrag, dass „Streit“ um das „Denkmal der deutschen Einheit“ durchaus erwartet wird. Markus Meckel, Bürgerrechtler in der Agonie der DDR, ihr letzter Außenminister und nun SPD-Abgeordneter, findet es sogar gut, dass durch das Denkmal eine Debatte über das Selbstverständnis der Deutschen und ihren Umgang mit dem Wendeherbst 1989 angestoßen wird. Die Deutschen seien doch das Volk in Europa, das sich „am wenigsten kennt“, sagt er. Er will kein stolzes „Nationaldenkmal“ errichten. Die Antragsteller schreiben, dass „wir“ ja nun wieder „gleichberechtigte Partner in der Völkergemeinschaft“ seien.

Ohne das benachbarte Holocaust-Mahnmal am Brandenburger Tor, einen guten Kilometer entfernt, zu nennen, erwähnt der Antrag „Denkmäler der Schande“, die wie die „des Stolzes und der Freude“ nichts weniger als „notwendige Grundsteine des neuen Deutschland“ seien. Da liegt der Verdacht nahe: Ist das geplante Denkmal nicht doch der Versuch, einen dünnen Schlussstrich unter die deutsche Geschichte zu ziehen? Wird das „Nationaldenkmal“, wie es etwa der Mitinitiator Günter Nooke von der CDU nennt, das Gegenstück zum Holocaust-Mahnmal?

Der Grünen-Abgeordnete Winfried Hermann aus Stuttgart will auf keinen Fall in diese Ecke gestellt werden. Neben dem ehemaligen Bürgerrechter Werner Schulz aus Leipzig ist er einer der wenigen in seiner Fraktion, die den Gruppenantrag unterstützen. Das geplante Denkmal, hebt er hervor, solle kein Konterpart zum Holocaust-Mahnmal werden. Aber es gebe neben den düsteren eben auch die hellen Seiten der deutschen Geschichte, daran solle es erinnern: Nach den missratenen Aufständen von 1848 und 1918 sei doch die Wende 1989 die „einzige wirklich geglückte friedliche Revolution in Deutschland“ gewesen.

Petra Pau, Berliner PDS-Landeschefin und Bundestagsabgeordnete, schießt dagegen: Der Antrag sei „doppelt daneben“, da die Umwälzungen 1989/90 das Ergebnis demokratischer Bewegungen in ganz Mittel- und Osteuropa gewesen seien und kein nationalstaatliches Ereignis. Außerdem verdecke der Antrag, „dass selbst die Ansprüche aus dem Herbst 1989 mitnichten durch den Beitritt der DDR zur BRD eingelöst wurden“.

Diese Vorwürfe versuchen die Denkmalsfreunde aufzufangen. In ihrem Antrag wird immer wieder die europäische Dimension der Gedenkstätte betont. Es solle ein „Freiheits- und Einheitsdenkmal“ werden – „in der Reihenfolge“, sagt Meckel.

Den Berliner Historiker Jürgen Kocka überzeugen diese Argumente kaum. Er hat sich schon in öffentlichen Debatten mit früheren Initiatoren des Denkmals auseinandergesetzt – unter ihnen neben dem letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière auch Nooke. Lange bevor diese Idee im Parlament landete. „Sehr problematisch“ fände er es, den Aspekt der Einheit nach vorne zu rücken. Überhaupt habe man in der Bundesrepublik „Wichtigeres zu tun“, so Prof. Kocka.

Haben Sie denn etwas gegen das Wort Nation?

Aber der Ort mit seiner undemokratischen Tradition ist keineswegs einer, der, wie es im Antrag heißt, „geradezu darauf wartet“, neu gestaltet zu werden. Als Kronprinz ließ der spätere Kaiser Wilhelm 1848/49 Demokraten exekutieren. Die Reichseinigung 1871 unter ihm sei nur durch drei Kriege möglich geworden, betont Kocka. Nookes Gegenargument: Gerade durch das Denkmal könne man diesen feudalistischen Sockel „im hegelschen Sinne aufheben“. Und den Einwand, dass zu befürchten sei, das Nationaldenkmal könnte zum Treffpunkt für Rechte werden, versteht Nooke gar nicht: „Haben Sie was gegen das Wort ,Nation`?“

Dietmar Arnold, der Führer durch den Sockel, hat sein Urteil schon gefällt: Ein Denkmal, einfach auf das Gewölbe gesetzt, wäre „eine Peinlichkeit ohne Ende“: Die Geschichte des Ortes dürfe nicht einfach unter einem neuen Denkmal verschwinden. Arnold ist Autor eines Buches über diesen Teil des Schlossplatzes, die „Schlossfreiheit“, und Kopf eines Vereins von Berlinern, die unterirdische Räume ihrer Stadt erkunden. Er wollte mit Partnern und fünf Millionen Mark aus dem Sockel eine unterirdische Kulturstätte machen – ähnlich der Moritzbastei in Leipzig. Doch mittlerweile hat er die Akten dazu in den Keller verbannt.

Keine Frage, sagt er, die unterirdischen Bögen würden ein neues Denkmal schon tragen: Allein das Bronzepferd Wilhelms habe 500 Tonnen gewogen. Zudem habe das Denkmal unter anderem noch 32 Eidechsen, 18 Schlangen und 8 Schafe beherbergt. Es wurde auch „kleener Zoo von Wilhelm zwo“ genannt, erzählt Arnold. Die Berliner haben zumindest verbal noch jedes Denkmal zum Einstürzen gebracht. Vielleicht ist das ja eine Hoffnung.