Ein Steinbruch mehr

Der Schlossplatz soll zum neuen kulturellen Zentrum werden. Dabei könnte der repräsentative Umbau die Museen in Dahlem ruinieren

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Schade um den Ausflug nach Dahlem. Wenn der neue Vorschlag von Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, greift, mit den Dahlemer Museen an den Schlossplatz zu ziehen, ist es in einigen Jahren vorbei mit der Kunst im Grünen. Dort afrikanischen Göttern und indischen Buddhas einen Besuch abzustatten, versprach eine Erholungspause von der Stadt, bei „Luise“ einen Kaffee trinken und in Gedanken Studentenzeiten nachhängen. Das war mehr als ein Westberliner Ritual. Auch der auswärtige Besucher, wenn er denn nicht nur für zwei Tage kam, freute sich über die Muße und die Vielseitigkeit der Stadt.

Doch nun soll die Stadt auf einmal ein Gravitationzentrum erhalten wie noch nie. Der Schlossplatz, für den zehn Jahre nach der Wende noch immer kein Nutzungskonzept vorliegt, ist Alt- und Neuberlinern ein Dorn im Auge. Da sind sich ausnahmsweise Bürgermeister Diepgen und Kulturstaatsminister Naumann einig: mit dem Wiederaufbau des Schlosses Hauptstadtidentität schaffen. So wurde Lehmanns Vorstoß von beiden begrüßt. Endlich ein sinnvoller Inhalt für die repräsentative Hülle.

In Dahlem wird zur Zeit kräftig gebaut. Die Museen für Ostasiatische und Indische Kunst erhalten neue Ausstellungsflächen und sollen im September 2000 wieder eröffnen. Langfristig hofften auch die Ethnologischen Museen auf Umbau und Erweiterung um eine zentrale Halle, um seit Jahrzehnten im Depot verschlossene Kulturen ausbreiten zu können. Seit den 60er-Jahren träumten sie: Wenn die Gemäldegalerie erst weg ist, dann legen wir los.

Und jetzt? Ein Aufschrei aus Dahlem? Nein, sie zeigen sich angeblich einhellig erfreut, der Museumsinsel nahe zu kommen, und hoffen, von deren Besucherströmen zu profitieren. Klaus Helferich, Direktor der Ethnologischen Museen, sieht das Ende einer ungerechten Marginalisierung. Allein, die drohende Vereinsamung in Dahlem ist weniger ein Problem des Standorts gewesen als der Museumspolitik der Stiftung, die in der Begeisterung über das historische Erbe der Museumsinsel und in dem harten Kampf um die Akzeptanz des Kulturforums für Dahlem keine Ideen mehr übrig hatte. Wie schon der Generaldirektor Peter-Klaus Schuster in seinem Plan, die Gemäldegalerie auf die Museumsinsel zurückkehren zu lassen, bezieht sich Lehmann in der Begründung für die Konzentration der Sammlungen auf den humanistischen Zeitgeist der Gründergeneration. Die sahen die Kulturen der Welt als versteinerte Form der verschiedenen Bewusstseinstufen der Geschichte, die die Menschheit auf dem Weg zur Vollendung der Geschichte zurückgelassen haben.

Mit dieser euphorischen Perspektive, Geschichte als zielgerichtetes Fortschreiten zu verstehen, wurde das kulturelle Inventar der Vergangenheit geordnet. Doch heute sind wir nicht mehr vom Sinn der Geschichte überzeugt, noch glauben wir an die Vollständigkeit ihrer Erzählbarkeit. Aus dem Steinbruch der Vergangenheit zieht Berlin wechselnde Geschichtsbilder für neue Identitätsstiftungen heran. In den 70er- und 80er-Jahren maß man sich in vielen Westberliner Großveranstaltungen an der Weimarer Republik. Gegen den Stabilitätsverlust der Inselstadt suchte man Ermutigung im Blick auf die politisch widersprüchlichen und kulturell kreativen Zeiten. Als Gegenbewegung zur Glorifizierung der Vergangenheit wurden Gedenkinitiativen wie Topographie des Terrors und Holocaust-Mahnmal auf den Weg gebracht.

Seit aber nach dem Abbau der Mauer das Terrain der ganzen Stadt zur Verfügung steht, greift man tiefer in die Geschichte, nach Preußen, und flickt an den Brachen der Zeit. Da steht die Besetzung des Schlossplatzes, die besonders den Regierenden Bürgermeister als Leere vor seiner Rathaustür täglich zu erschüttern scheint, an oberster Stelle. Klaus-Dieter Lehmann, dessen Nutzungsvorschlag besser klingt als das Notlösungspaket „Hotel, Kongresszentrum, Bibliothek“, das jeder Investor bis zum Abwinken kennt, muss man allerdings nicht der Sehnsucht nach Preußengröße verdächtigen.

Er surft nur auf dieser Welle. Denn als guter Manager kennt er den Slogan „Folge dem Geld“. Seine Überlegung stimmt sicher, dass es leichter ist, Mittel für die beste Adresse im Land aufzutreiben, als die 350 Millionen, die für den Umbau in Dahlem als Investionsvolumen anstehen. Wenn man bei seiner vorsichtigen Rede von der „Zweitrangigkeit der Gebäudefrage“ genau hinhört, geht es ihm nicht um das Schloss, sondern um den Schlossplatz als einen Standort, den voranzubringen Politiker aller Seiten zu ihrer Ehrensache gemacht haben.