Modernes Schloss für alte Völker

Mit dem Vorschlag, ein ethnologisches Museum ins neu zu bauende Stadtschloss zu legen, hat Klaus-Dieter Lehmann die Debatte neu belebt. Der Architekt und Stadtplaner Wulf Eichstädt plädiert in der taz für eine Abkehr von der barocken Form

von WULF EICHSTÄDT

Der Vorschlag des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die ethnologischen Sammlungen der Stadt sowie die Häuser für Indische und Ostasiatische Kunst zur Kernnutzung eines wieder aufgebauten Stadtschlosses zu machen, verspricht zweierlei in Gang zu setzen. Erstens: endlich eine ernsthafte Diskussion über den Inhalt des ambitiösen Großprojektes und zweitens: nach der seriösen Klärung der Nutzungsinhalte auch eine ähnlich seriöse Diskussion über die „Form“ eines Gebäudekomplexes an dieser Stelle.

Es liegt auf der Hand, dass eine ethnologische Sammlung und eine strenge barocke Raumfolge noch keine ideale Kombination darstellen, weshalb Klaus-Dieter Lehmann in einem ausführlichen Interview nach seinem Vorschlag auch sehr sehr behutsam eine Wiedereröffnung einer Architektendebatte, die von geklärten Nutzungskonzepten ausgeht, angemahnt hat. Es ist merkwürdig, vielleicht aber aus taktischen Gründen verständlich, dass er dabei das Pariser Vergleichsprojekt nicht erwähnt, das sich nach einem erfolgreich abgeschlossenen Architektenwettbewerb – Preisträger Jean Nouvel – heute am Beginn seiner Realisierungsphase befindet: das „Musée des Arts et des Civilisations“.

Es war sicherlich kein Spleen, dass sich Jacques Chirac im Sommer 1995, nach der Übernahme des Präsidentenamtes, für die Realisation eines eigenen unverwechselbaren Grand Projet entschied und dabei, weil die großen Sammlungen von europäisch-abendländischer Kunst und moderner Technologien inzwischen auf das Prächtigste untergebracht waren, sich für die Sammeldepots der alten Kolonialmacht, das Museum für Afrikanische und Ozeanische Kunst sowie das Museum für Menscheitsgeschichte zu interessieren begann, um den Spitzenexponaten ein neues, glänzendes Ausstellungsgebäude zu spendieren.

Auch bei den Vollmachten eines französischen Regierungspräsidenten dauerte die auf eine solche Idee folgende Konzeptions- und Vorbereitungsphase mindestens fünf Jahre und wurde darum erst mit der Preisgerichtsentscheidung im Dezember 1999 abgeschlossen. Das neue Museum wird einen Steinwurf vom Eifelturm entfernt, am Quai Branly, direkt an der Seine, in einer riesigen Baulücke in einem gründerzeitlichen Baublock entstehen. Der Projektentwurf von Jean Nouvel ist von extravaganter Modernität, die sich von allen architektonischen Konventionen der europäischen Stadt abwendet, dafür aber einen Ton trifft, der in der Debatte über den angemessenen Umgang mit dieser fremden Kunst offensichtlich mehrheitsfähig ist.

Wer also in Berlin, auf der Höhe der Zeit, Ethnologisches, Indische und Ostasiatische Kunst zu neuer, angemessener Form ausstellen will, wird sich auch hier dieser Diskussion stellen müssen.

Nouvel schafft zunächst Distanz zur Alltagswelt der europäischen Stadt, indem er an der Seine-Seite seiner Baulücke hinter einer Glasmembrane einen dichten, hohen „Heiligen Wald“ pflanzt, an der anderen Blockseite einen Garten aus Magnolienblumen. Das eigentliche Gebäude besteht aus einem geschwungenen, vier Geschosse hohen und etwa 200 Meter langen Brückengebäude, das erst auf der Höhe von 12 Metern beginnt, so dass die grünen Räume, der „Heilige Wald“ und der Magnoliengarten, das Gebäude zu durchdringen scheinen. Das Gebäude selbst wird getragen von unregelmäßig angeordneten Stützpfeilern, die ihrerseits an Bäume oder Totempfähle erinnern.

Nouvel schreibt dazu in seinem Erläuterungsbericht: Der Ort wird gekennzeichnet sein von den Symbolen des Waldes, des Flusses und den Obsessionen des Todes und des Vergessenen. Er ist das Asyl, in dem die verachteten Arbeiten Aufnahme gefunden haben, die einst in Australien und Amerika erschaffen wurden. Es ist ein belasteter, ein bewohnter Ort, in dem die Geister der Ahnen derer zusammenkommen, die sich im Entdecken der menschlichen Daseinsberechtigung Götter und Glauben schufen. Es ist ein einzigartiger und seltsamer Ort. Poetisch und verstörend zugleich.

Ganz gleich, ob es gelingt, die angestrebte Spiritualität auch tatsächlich baulich umzusetzten, zeigt der Ansatz von Nouvel eine Ernsthaftigkeit, die Bedeutung der ausgestellten Gegenstände zu erfassen und eine angemessene Begegnung mit dem Besucher zu ermöglichen, die für die weitere Berliner Diskussion Maßstäbe setzen kann.

Das Pariser Museumsprojekt „des Arts et des Civilisations“ hat den Vorteil, dass es zwar in der Höhe des Eiffelturms, insgesamt jedoch eher am Rand der Stadtlandschaft realisiert wird. Es wird eines der vielen Grands Projets sein; keiner erwartet, dass es dem Louvre oder dem Centre Pompidou den Rang abläuft.

Bei einem ethnologischen Museum auf dem Schlossplatz ist das anders. Der Schlossplatz ist der zentralste aller zentralen Orte neben einer in vier Generationen gewachsenen Museumslandschaft von internationalem Rang.

Der Präsident der Stiftung weiß dies natürlich auch und beansprucht darum für seine Dahlemer Sammlungen nur ein Drittel der bereits ermittelten Nutzflächen.

Wissenschaft und Forschung sowie ein erweitertes „Haus der Kulturen der Welt“ wünscht er sich als mögliche Projektpartner. Dahinter steht ganz offensichtlich die Einsicht, dass ein neues Ensemble auf dem Schlossplatz, von dem eine national und international wirksame Strahlung ausgehen soll, mehr braucht als eine museale Nutzung.

Doch auch bei einem „Haus der Kulturen der Welt“ im Schlossplatzensemble würde sich die Frage nach der angemessenen Form für diesen Inhalt neu stellen. Das Haus mit dem doppelten Genetiv hat immer dafür geworben, die traditionsgebundenen und die modernen Kulturen der Welt als eigenständige, hoch bedeutsame Beiträge zur globalen Gesellschaft zu sehen und niemals unter dem hochfahrenden Blick des Eurozentriums zu beurteilen. Es ist schwer vorstellbar, dass sich diese Botschaft freiwillig hinter den Mauern eines barocken Schlosses versteckt.

Doch auch, wenn die Vorschläge von Lehmann ebenso viele Fragen wie Antworten gebracht haben, ist die Diskussion über die Zukunft des Schlossplatzes heute weiter als noch zum Zeitpunkt der Berliner Koalitionsvereinbarung.

Vielleicht befördern ja die offen gebliebenen Fragen das Denken in langsameren Prozessen, indem die Bebauung des Schlossplatzareals nicht in wenigen Jahren realisiert wird, sondern als allmähliche Verdichtung.