Jenseits von Palast und Schloss

taz-Debatte zum Schlossplatz (Teil 3): Im Streit um den Palast oder die Rekonstruktion fordert der Baustadtrat des Bezirks Mitte ein Forum nichtstaatlicher gesellschaftlicher Öffentlichkeit. Verschiedene Architekturen aus Alt und Neu für ein neues Ensemble

von THOMAS FLIERL

In Berlin behauptet die CDU, eine Mehrheit wolle nun den Wiederaufbau des Stadtschlosses. Der konservative Landesverband beabsichtigt gar, einen Antrag in das Berliner Abgeordnetenhaus einzubringen. Doch unterdessen hat die Diskussion eine interessante Wendung genommen. Es wird endlich über die gesellschaftliche Sinnbestimmung des Ortes in der Mitte der Hauptstadt gesprochen.

An die Stelle gescheiterter privater Interessenbekundung zur Wiedererrichtung des Stadtschlosses sind Ansätze einer öffentlichen Interessenerkundung an diesem Ort getreten. Der jüngste Vorschlag des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, die Sammlung außereuropäischer Kulturen auf dem Schlossplatz zu präsentieren, hat die Funktion eines Katalysators erlangt: endlich eine Nutzung, die sich mit einem Schloss verbinden ließe und es gleichzeitig in Fragestellt. Nicht das Bild des Schlosses ist länger die Antwort auf die Frage nach der Zukunft des Ortes, sondern ein städtebauliches und gesellschaftspolitisches Entwicklungsprojekt.

Mit der Ansiedlung von Bundespräsidial-, Bundeskanzleramt und Bundestag ist die neue deutsche Staatsmitte im Spreebogen verortet worden. Gerade deshalb ist die noch ausstehende Errichtung des Bundesforums städtebaulich und funktional unverzichtbar: Das „Band des Bundes“ braucht seine zentrierende Mitte und einen mehr als nur symbolischen Ort der Anwesenheit der sich politisch artikulierenden Bürgerinnen und Bürgern. Der am Roten Rathaus gelegene weiträumige Stadtinnenraum zwischen Alexanderplatz und Spree hat das Potenzial eines gesamtstädtisch bedeutsamen öffentlichen Raums – als Ort der Begegnung zwischen Politik und Bürgerschaft.

Das Hohenzollern-Schloss und der DDR-Palast markierten jeweils auf ihre Weise eine Staatsmitte. Dabei war der Palast der Republik nie tatsächlicher Ort politischer Machtausübung gewesen, der lag abseits in der ehemaligen Reichsbank. Das DDR-Parlament hatte keine Macht, und die politischen Veranstaltungen hatten eher symbolische Bedeutung. Der Republikspalast war vor allem ein Ort für Kulturveranstaltungen und Kongresse. In den engen Grenzen der DDR-Gesellschaft waren die Bürger auf der Mitte der Spreeinsel angekommen.

Nicht in der Rücknahme dieses Maßes an Öffentlichkeit, sondern in seiner Ausweitung liegt die Bestimmung der Mitte der Spreeinsel. Für die innere Einigung der bundesdeutschen Gesellschaft und für die Ausgestaltung der Hauptstadt ist es gleichermaßen eine erstrangige Herausforderung, hier einen Ort zu schaffen, der alle BürgerInnen angeht und an dem alle BürgerInnen sein können.

Auf die Spreeinsel gehört ein öffentliches Bauensemble, das nach Westen den Linden ebenso zugewandt ist wie dem Stadtinnenraum nach Osten. Der frühere Palast hat diese Funktion nach Osten wahrgenommen. Nun besteht die Chance, durch einen Ergänzungsbau die Stadt nach beiden Seiten zu verklammern und dem Bundesforum im Spreebogen seine Ergänzung in einem nichtstaatlichen Bürgerforum auf der Spreeinsel zu geben.

Der Vorschlag, in die zu erhaltenden Bereiche des Palastes das „Haus der Kulturen der Welt“ zu verlagern, liegt von der Berliner PDS schon seit Anfang des Jahres vor. Diese vom Bund getragene Institution hat zum einen ihre herausragende Leistungsfähigkeit beim Kulturaustausch bewiesen, verfügt aber andererseits in der Kongresshalle im Tiergarten über keine gute städtische Einbindung und hat zu wenig Raum. Diese Idee findet ihre ideale Ergänzung im kürzlichen Vorschlag Lehmanns, die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auf der Spreeinsel zu präsentieren. Und man kann weitere Vorschläge einbeziehen: der Stadtforscher Klaus Brake etwa hat kürzlich mit der Leitidee eines „Wissensquartiers“ das Motiv der öffentlichen Selbstverständigung in der Mitte der Stadt weiterentwickelt.

Der Verlust des Berliner Stadtschlosses ist nicht zu ersetzen. Wir müssen diesen Verlust durch erinnernde Trauerarbeit annehmen, uns aber nicht durch bauliche Surrogate über ihn hinwegtäuschen. Ein solches Surrogat ist die Forderung nach der Errichtung eines Gebäudes in der Kubatur und mit der Fassade des Berliner Stadtschlosses.

Der Palast der Republik wird nach der Asbestentfernung als ein technischer Rohbau zurückbleiben. Das in drei Gebäudeteile gegliederte Bauwerk – Kongressbereich, Foyer und Veranstaltungssaal – sollte aus historischen, funktionellen und ökonomischen Gründen erhalten, umgestaltet und in ein neues städtebauliches Ensemble integriert werden. Der Rückbau auf den Rohbauzustand lässt dabei gegenüber der bisherigen Gebäudetypologie wesentliche neue Gestaltungselemente zu. Aus diesem Rohbau könnte gestalterisch noch ein Centre Pompidou werden.

Im Rahmen eines städtebaulichen Gesamtkonzeptes sollte die ergänzende Bebauung nicht als Solitär, sondern als Ensemble mehrerer Gebäude entwickelt werden. Der Neubau sollte dabei sowohl der öffentlichen Funktion („Wissensforum“) Signifikanz geben als auch eine zeitgenössische architektonische Antwort auf die fehlende baulichen Fassung des Schwenkpunktes der Linden und der südlichen Begrenzung des Lustgartens anstreben.

In einem städtebaulichen Wettbewerb sollten hierzu Konzepte entwickelt werden, die auch das Maß der Differenzierung der einzelnen Gebäudeteile entsprechend den gewünschten Nutzungen bestimmen. Historische Spuren der Vergangenheit könnten integriert werden. Das Wiederentstehen des eigentlichen Schlossplatzes darf nicht zum Abriss des Staatsratsgebäude führen.

Eine neue gesellschaftliche Mitte auf der Spreeinsel kann nur entstehen durch die Teilhabe und Mitwirkungen der Bürgerinnen und Bürger der Stadt und des ganzen Landes. In einer für das Gesamtprojekt als Dachverband fungierenden Stiftung Spreeinsel sollten neben dem Bund und dem Land Berlin alle künftigen Einzeleinrichtungen vertreten sein.

Die Umgestaltung der Spreeinsel-Mitte wird ein langwieriger öffentlicher Prozess sein. Diese Debatte braucht eine Plattform: Die demnächst vom Leipziger Platz zu verlagernde und nachnutzbare Infobox könnte als Ort der öffentlichen Ideenfindung, Auseinandersetzung und Realisierungsplanung auf die Mitte der Spreeinsel gestellt werden. Als Aussichtsplattform in der Achse der Straße Unter den Linden markiert sie das Problem und deutet die Lösung an: Nur im gesellschaftlichen Dialog kann auf der Mitte der Spreeinsel ein bürgerschaftliches Forum entstehen, eine zivilgesellschaftliche Alternative zum derzeitigem Dilemma zwischen ruinösem DDR-Palast und privater Schlossreplik, ein städtebauliches und gesellschaftspolitisches Zukunftsprojekt der Berliner Republik.